Unendlichkeit
»Er wird seine Drohung nicht wahr machen. In seinen Augen ist nichts, er hat es mir gesagt. Aber Sajaki hatte keine Gewissheit – es war immerhin möglich – und deshalb war Dan überzeugt, dass sein Bluff funktionieren würde.«
»Und du bist völlig sicher, dass er dich nicht belogen hat?«
»Was ist das für eine Frage?«
»Unter diesen Umständen eine völlig berechtigte. Ich fürchte Sajaki, aber bei ihm kann ich notfalls Gewalt anwenden. Bei deinem Mann ist das anders.«
»Es ist nie dazu gekommen«, sagte Pascale. »Ihr könnt mir vertrauen.«
»Was bleibt uns denn anderes übrig?«, fragte Khouri. Sie hatten einen Fahrstuhl erreicht; die Tür ging auf, aber die Kabine stand etwas zu hoch, sie mussten einen Schritt nach oben machen. Khouri schüttelte sich den Schiffsschleim von den Stiefeln, schlug mit der Faust gegen die Wand und sagte: »Ilia, du musst das Ding stoppen. Wenn es Cerberus trifft, sind wir alle tot. Die Mademoiselle hat das die ganze Zeit gewusst; deshalb wollte sie Sylveste außer Gefecht setzen. Sie muss irgendwie geahnt haben, dass er alles tun würde, um hierher zu kommen. Mir ist bei weitem nicht alles klar, aber eines steht fest. Die Mademoiselle wusste, dass es für uns alle eine Katastrophe wäre, wenn er sein Ziel jemals erreichte. Und wenn ich Katastrophe sage, dann meine ich das wörtlich.«
Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung, obwohl Volyova noch kein Ziel angegeben hatte.
»Es ist, als triebe Sonnendieb ihn ständig an«, sagte Pascale. »Brächte ihn auf gefährliche Gedanken und lenkte sein Schicksal.«
»Von welchen Gedanken sprichst du?«, fragte Khouri.
»Was brachte ihn zum Beispiel darauf, hierher zu kommen – in dieses System?« Volyova hatte Feuer gefangen. »Khouri; erinnerst du dich an die Aufzeichnung von Sylvestes letztem Besuch, die wir aus dem Schiffsspeicher abriefen?« Khouri nickte. Sie wusste noch gut, wie sie dem Hologramm in die Augen gesehen und sich ausgemalt hatte, wie es sein würde, den echten Sylveste zu töten. »Weißt du noch, wie er andeutete, dass er die Resurgam-Expedition bereits plante? Und wie uns das störte, weil er eigentlich noch gar nichts von den Amarantin wissen konnte? Jetzt passt das alles genau zusammen. Pascale hat Recht. Sonnendieb befand sich schon damals in seinem Kopf und drängte ihn, hierher zu kommen. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, wie ihm geschah. Er wurde die ganze Zeit von Sonnendieb gesteuert.«
Khouri sagte: »Man hat fast den Eindruck, als führten Sonnendieb und die Mademoiselle mit unserer Hilfe einen Stellvertreterkrieg. Sonnendieb ist eine Software-Entität und die Mademoiselle sitzt auf Yellowstone in ihrem Palankin fest… deshalb führen sie uns wie Marionetten und hetzen uns aufeinander.«
»Ich glaube, du hast Recht«, sagte Volyova. »Sonnendieb beunruhigt mich. Sehr sogar. Wir haben seit der Explosion des Weltraumgeschützes nichts mehr von ihm gehört.«
Khouri schwieg. Sie wusste, dass Sonnendieb bei ihrem letzten Aufenthalt im Leitstand in ihren Kopf eingedrungen war. Später hatte ihr die Mademoiselle bei ihrem Besuch berichtet, Sonnendieb zehre sie auf und würde sie innerhalb von Stunden oder – allenfalls – Tagen unweigerlich überwältigen. Doch das war Wochen her. Ihrer eigenen Einschätzung nach müsste die Mademoiselle inzwischen längst tot und Sonnendieb Sieger sein. Aber nichts hatte sich geändert. In Khouris Kopf war es so ruhig wie noch nie, seit man sie im Orbit um Yellowstone reanimiert hatte. Keine Implantate der verdammten Schatten, die ihr die Nähe eines Opfers meldeten; keine mitternächtlichen Heimsuchungen durch die verdammte Mademoiselle. Fast als sei Sonnendieb im Augenblick seines Triumphes gestorben. Aber daran glaubte Khouri nicht, und deshalb fand sie diese völlige Funkstille umso belastender; sie steigerte nur die Spannung bis zu seinem nächsten Auftauchen – das nach ihrer festen Überzeugung unvermeidlich war. Zudem ahnte sie, dass er noch unangenehmer sein würde als ihre letzte Untermieterin.
»Warum sollte er sich zeigen?«, fragte Pascale. »Er hat doch ohnehin fast gesiegt.«
»Fast.« Volyova nickte. »Aber was wir jetzt vorhaben, könnte ihn zum Eingreifen bewegen. Ich denke, darauf sollten wir vorbereitet sein – vor allem du, Khouri. Du weißt, dass er einen Weg in Boris Nagornys Gehirn gefunden hat, und eins kann ich dir sagen: ich hätte gern darauf verzichtet, die beiden kennen zu lernen.«
»Vielleicht solltest du mich
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