Unendlichkeit
Überzeugungen zu prüfen.
»Hoffen wir, dass es so ist, Sohn«, sagte Calvin.
»Liest du jetzt schon meine Gedanken?«, fragte Sylveste laut. Er hatte vor den anwesenden Triumvirn nichts zu verbergen. »Ein toller Trick, Calvin.«
»Nennen wir es lieber progressive Annäherung an neurale Kongruenz«, sagte die Stimme. »Ein Phänomen, das allen Theorien zufolge zu erwarten war, wenn ich nur lange genug in deinem Kopf bleiben könnte. Eigentlich passiert nichts anderes, als dass ich ein zunehmend realistischeres Modell deiner neuralen Prozesse erstelle. Anfangs musste ich das, was ich ablas, immer mit deinen Reaktionen vergleichen. Inzwischen brauche ich die Reaktionen nicht mehr abzuwarten, ich kann sie schon im Voraus erraten.«
Dann lies das, dachte Sylveste. Und hau ab!
»Wenn du mich loswerden wolltest«, sagte Calvin, »hättest du das schon vor Stunden haben können. Aber mir scheint, allmählich hast du mich ganz gerne da, wo ich jetzt bin.«
»Im Moment schon«, sagte Sylveste. »Aber gewöhne dich lieber nicht daran, Calvin. Ich habe nämlich nicht vor, dich auf Dauer bei mir einziehen zu lassen.«
»Deine Frau macht mir Sorgen.«
Sylveste sah die Triumvirn an. Plötzlich wollte er nicht mehr, dass seine Hälfte des Gesprächs öffentlich bekannt wurde, also schaltete er um auf Gedankensprache.
»Mir ebenfalls, aber das geht dich zufällig gar nichts an.«
»Ich habe gesehen, wie sie reagiert hat, als Volyova und Khouri versuchten, sie auf ihre Seite zu ziehen.«
Ja, dachte Sylveste – und wer könnte es ihr verdenken? Es hatte ihn schon schwer genug getroffen, als Volyova den Namen Sonnendieb in die Debatte warf wie eine Wasserbombe. Volyova hatte natürlich nicht wissen können, welche Bedeutung der Name für ihn hatte – und Sylveste hatte einen Moment lang gehofft, seine Frau hätte vergessen, dass und wo sie ihn schon einmal gehört hatte. Aber dafür war Pascale zu intelligent; nicht zuletzt dafür liebte er sie. »Das heißt noch lange nicht, dass es ihnen gelungen ist, Cal.«
»Freut mich, dass du so sicher bist.«
»Sie würde nie versuchen, mich aufzuhalten.«
»Das kommt darauf an«, meinte Calvin. »Wenn sie glaubte, du würdest dich in Gefahr begeben – und wenn sie dich so sehr liebt, wie ich glaube –, dann würde sie das sehr wohl versuchen, aus Liebe ebenso wie aus sachlichen Gründen. Aus Liebe sogar erst recht. Das heißt nicht, dass sie dich plötzlich hasste, es würde ihr auch keine Freude machen, dir deinen Wunsch zu verwehren. Ganz im Gegenteil, ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie sehr darunter leiden würde.«
Sylveste sah wieder zum Display hinüber. Da schwebte Volyovas Brückenkopf, ein perfekter Konus.
»Wenn du meine Meinung hören willst«, fuhr Calvin nach einer Weile fort, »dann steckt hinter alledem sehr viel mehr, als man auf den ersten Blick erkennt. Wir sollten Vorsicht walten lassen.«
»Das tue ich doch ohnehin.«
»Ich weiß, und ich kann dich auch gut verstehen. Die Aussicht auf eine Gefahr hat an sich schon ihren Reiz; sie ist fast ein Ansporn, immer weiter zu gehen. Das ist es doch, was du empfindest? Jedes Gegenargument, das man vorbringen könnte, würde deine Entschlossenheit nur noch stärken. Denn Wissen macht hungrig, und dieser Hunger ist übermächtig, auch wenn man weiß, dass die Speise tödlich sein könnte.«
»Ich hätte es nicht besser beschreiben können«, sagte Sylveste. Er war für einen Augenblick unsicher geworden. Doch dann wandte er sich an Sajaki und sagte laut: »Wo, zum Teufel, bleibt nur dieses verdammte Weib? Weiß sie denn nicht, wie viel es zu tun gibt?«
»Hier bin ich«, sagte Volyova und betrat, gefolgt von Pascale, die Brücke. Wortlos rief sie zwei Sitze zu sich, die beiden Frauen erhoben sich damit in die Mitte des Raums und steuerten in die Nähe der anderen, wo man das Schauspiel im Innern der Projektionssphäre am besten verfolgen konnte.
»Die Schlacht kann beginnen«, sagte Sajaki.
Volyova nahm Verbindung mit dem Geschützpark auf; zum ersten Mal seit dem Zwischenfall mit dem außer Kontrolle geratenen Weltraumgeschütz sollte eine der Schreckenswaffen eingesetzt werden.
Die Befürchtung, dass eines der Systeme irgendwann genauso reagieren, sie gewaltsam aus der Kontrollschleife werfen und seine Aktionen selbst steuern könnte, war im Hintergrund immer präsent. Auszuschließen war es nicht, aber Volyova war bereit, das Risiko einzugehen. Wenn Khouri die Wahrheit sagte, dann war die
Weitere Kostenlose Bücher