Unerwartet (German Edition)
geschwitzte Haare, doch er sieht glücklich aus. Wenn er es ist, dann bin ich es auch.
„Bist du überhaupt schon fit genug, dich so zu verausgaben?“ Die Frage ist zwar an Ben gerichtet, doch natürlich fühlen sich die beiden Doktoren neben mir angesprochen.
„Er ist fit. Fitter als wir es je wieder sein werden“, sagt Paul und stupst mich mit der Schulter an.
„Mach dir keine Sorgen, Mamabär.“ Jakob küsst mich auf die Schläfe. „Wir haben ein Auge auf ihn.“
Nicht nur das, sie haben auch ein Auge auf mich. Etwas, woran ich mich nur zu schnell gewöhnt habe, obwohl ich es eigentlich nicht wollte.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Paul nach meiner Hand greifen will, es sich jedoch im letzten Moment anders überlegt. Ben ist diese Bewegung nicht entgangen, auch wenn er den Blick schnell wieder abwendet.
30.
Der nächste Tag bringt strahlenden Sonnenschein und sehr angenehme Temperaturen. Zuhause ist es jetzt wahrscheinlich wieder unerträglich warm, doch durch den Wind ist es hier sehr angenehm.
Zusammen mit Paul bin ich in den Ort gefahren, um ein paar Lebensmittel zu besorgen. Jakob und Ben liegen am Strand und genießen die Sonne, weil es einfach keinen Sinn macht, mit vier Leuten einkaufen zu fahren.
Auf dem Parkplatz des Supermarktes hält Paul meine Hand fest, damit ich nicht aus dem Auto aussteige.
„Ben weiß es“, sagt er und sucht meinen Blick.
Innerhalb weniger Sekunden wird mir heiß und kalt. Und gleich wieder heiß.
„Woher?“
„Er hat mich gesehen. Heute Morgen, als ich aus dem Schlafzimmer kam. Die Tatsache, dass Kissen und Decke auf der Schlafcouch im Wohnzimmer unberührt waren, hat seinen Verdacht nur bestätigt.“
Paul hebt meine Hand an die Lippen und küsst meine Finger. Seine Ruhe ist mir unbegreiflich.
„Was hat er gesagt? Viel wichtiger, warum hat er beim Frühstück so getan, als wäre nichts passiert?“
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Paul löst meinen Gurt und zieht mich an sich. Er legt seine Hand auf meinen Bauch und sieht mir in die Augen.
„Atme, Engel. Sonst wirst du gleich ohnmächtig.“
Unter seiner Hand versuche ich, tief in den Bauch zu atmen. Mir war nicht bewusst, dass ich kurz vor einer Panikattacke stand.
„Du darfst dich nicht immer so aufregen. Ben hat gegrinst und ist kopfschüttelnd in seinem Zimmer verschwunden. Wenn du mich fragst, dann hat er schon lange einen Verdacht.“
„Er ist erst dreizehn. Er kann doch gar nicht begreifen, was da passiert. Selbst ich habe noch Probleme, es zu verstehen.“
„Wenn du verhindern willst, dass er glaubt, seine Schwester feiert Orgien, während er im Nebenzimmer schläft, dann gibt es nur eine Lösung. Du musst ihm sagen, dass du uns beide liebst.“
Es klingt so simpel, wenn er es sagt.
Auf dem Weg zurück zum Ferienhaus macht Paul noch einen Abstecher zur Strandpromenade. Er parkt vor einer Reihe kleiner Läden und Restaurants und springt aus dem Auto, bevor ich fragen kann, was er vorhat.
„Du kannst sitzen bleiben. Ich hole uns etwas frischen Fisch fürs Abendessen“, sagt er und schlägt auch schon die Autotür zu.
Ich beobachte ihn, wie er mit weiten Schritten zu dem kleinen Fischladen marschiert. Bei seinen langen Beinen ist es für mich manchmal schwer, mit ihm Schritt zu halten. Das ist aber nicht weiter schlimm, wenn ich dafür sein knackiges Hinterteil beobachten kann.
Der Gurt schneidet mir schon wieder unangenehm in die Brust. Ich schnalle mich ab, und werfe einen Blick in mein T-Shirt. Die Stelle, an der der Gurt saß, ist leicht gerötet, doch es ist nicht viel mehr als eine Druckstelle. Sonst bin ich nicht so empfindlich.
Ich sehe Paul durch das Schaufenster und erwische ihn dabei, wie er mich anschaut. Es passiert ihm häufig, dass er mich gedankenverloren beobachtet. Er scheint sich dessen gar nicht bewusst zu sein.
Direkt neben mir entdecke ich ein Geschäft mit einer gigantischen Muschel im Schaufenster. Auf dem Bürgersteig vor dem Laden stehen Körbe voller Seesterne und kleiner Muscheln. Ich steige aus dem Auto aus, um mich ein wenig umzusehen.
Das Innere des Ladens ist eine Schatztruhe, über und über voll mit Schmuckstücken, hergestellt aus allem, was das Meer an den Strand spült, außer dem Müll natürlich. Einige Stücke stammen eindeutig nicht aus der Nordsee. Eine Kette mit feinen Korallensplittern in violett und schwarz hat es mir angetan. Ich trage selten Schmuck, doch von diesem Stück kann ich meinen Blick nicht
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