Unerwartet (German Edition)
Sein Tonfall klingt warnend, doch die wachsende Beule in seinem Schritt spricht eine andere Sprache. Ich hätte ja nicht ahnen können, dass es solche Reaktionen in ihm auslöst, wenn ich ihn mit seinem Titel anspreche.
„Was denn?“
Meine Unschuldsmiene nimmt er mir nicht ab.
„Du hast die Wahl. Entweder du kommst jetzt mit mir zum Brunch bei meinen Eltern oder du fährst zu Paul in die Praxis und leistest ihm Gesellschaft, bis ich wiederkomme. Er hat heute Notdienst.“
„Paul klingt gut. Aber ich dachte, du wolltest mich näher mit deinem Sessel bekannt machen?“
Jakob legt den Kopf auf meine Schulter und lässt einen tiefen Seufzer entweichen.
„Ich muss noch duschen und mich rasieren. Wenn ich mich jetzt mit dir beschäftige, dann komme ich zu spät. Sei nicht böse, Baby.“
„Bin ich nicht. Soll ich Paul Essen mitbringen, oder hat er etwas da?“
„Du musst dir die Mühe nicht machen, aber Paul würde sicher etwas nehmen, wenn du es ihm bringst. Er vergisst während der Arbeit gerne, dass er essen muss.“
„Du nicht? Und du kümmerst dich nicht, dass er etwas bekommt? Ich bin enttäuscht, Doktor Jakob“, sage ich mit einem Augenzwinkern. „Du musst doch dafür sorgen, dass er für uns bei Kräften bleibt.“
„Hey, ich kann es mir nicht erlauben, am OP-Tisch zu unterzuckern. Das hab ich schnell gelernt. Paul ist ein großer Junge, er kann das schon selbst. Und wenn er es wieder übertreibt, dann füttert Rita ihn mit Keksen ab.“
Auch wenn ich jetzt lieber mit Jakob im Bett verschwinden würde, löse ich mich aus seiner Umarmung.
„Ich liebe dich.“ Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiede ich mich von ihm und muss mich mal wieder wundern, wie gut es sich anfühlt, diesen Satz zu sagen.
Paul ist alleine, als ich mittags an der Praxis klingele. Überrascht öffnet er mir die Tür.
„Engel? Was machst du denn hier? Ist alles in Ordnung?“
Er schließt mich in die Arme und versucht dabei einen Blick in den Korb zu erhaschen, den ich hinter meinem Rücken versteckt halte.
„Jakob hat mir gesagt, ich soll dich füttern. Ist heute keine eurer Helferinnen da?“
„Ich hab Gaby vor einer halben Stunde nach Hause geschickt. Bei Bedarf kommt sie zurück, aber es sieht nicht so aus, als wäre heute viel los. Was hast du mir mitgebracht?“
Neugierig schnuppert er über meine Schulter.
„Lasagne und Knoblauchbrot. Obwohl das Knoblauchbrot vielleicht keine gute Idee war. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass deine kleinen Patienten das vielleicht nicht so toll finden könnten.“
„Die stört das so schnell nicht. Ich kann mir ja anschließend die Zähne putzen. Du bist die Beste.“
Er nimmt mir den Korb ab und führt mich in die kleine Küche im hinteren Teil der Praxis.
„Wieso ist es so leer hier? Ist das normal?“
Ich setze mich an den kleinen Bistrotisch und sehe Paul dabei zu, wie er die Schale mit Lasagne in die Mikrowelle stellt.
„Heute ist Sonntag, es ist schönes Wetter und es ist keine Erkältungssaison, also ist das relativ normal. Es werden sicher noch ein paar Notfälle kommen, aber allzu viel wird nicht mehr passieren.“
„Kann ich dich was fragen, Paul?“
„Du kannst mich alles fragen.“
Er setzt sich mir gegenüber und bricht ein Stück vom Brot ab.
„Ihr habt doch mit Ben gesprochen. Jakob will mir nichts sagen, aber ich hoffe, du hast ein wenig mehr Gnade mit mir.“
Nachdenklich kaut er auf seinem Brot.
„Du weißt schon, dass für mich dasselbe gilt wie für Jakob?“, sagt er nach einer Weile.
„Das ist mir klar. Paul, ich mache mir große Sorgen wegen der Trinkerei. Er ist gerade mal dreizehn, auch wenn er schon so groß ist. Wie kann ich ihn davon fernhalten? Ich fand es nie sinnvoll, mich selber komplett zu enthalten, nur weil mein Vater es nicht im Griff hatte. Vielleicht war das ein Fehler und ich ein schlechtes Vorbild für Ben.“
Paul greift nach meinen Händen und zieht mich vom Stuhl hoch, nur um mich gleich auf seinen Schoß zu schieben.
„Engel“, sagt er mit einem Seufzer. „Ich habe dich noch nie mehr als ein bis zwei Gläser Wein trinken sehen, und das auch nicht regelmäßig. Du bist kein schlechtes Vorbild.“
„Paul, bitte. Sag mir irgendwas.“
Die Mikrowelle piept, doch er bleibt sitzen.
„Okay, aber schwör mir, dass du es nicht Ben gegenüber erwähnst. Es ist ihm furchtbar unangenehm.“
„Das werde ich nicht, ich verspreche es.
„Ben ist okay, Katharina. Das ist er wirklich. Er wächst zu
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