Ungezähmt: Die Katze (German Edition)
ihm das Hemd und die
Weste sauber aufgeschnitten. Die zwei Hälften bauschten sich um seine Oberarme,
nur gebremst von dem festen Griff der zwei Banditen, die ihn festhielten.
„Ach du Scheiße“,
murmelte Michael.
„Das kannst du wohl
laut sagen“, stimmte der Halbwüchsige zu. Dann zerrte er sich hastig den
Handschuh von den Händen und hielt sie ihm an die Stirn, drückte hier und da
auf die Wunden. Gideons Schmerzenslaute wurden ignoriert.
„Wurde der Pfeil sauber
entfernt?“, fragte er dann.
Gideon blinzelte. „Ich
weiß nicht. Ich hatte keine Zeit, viel Aufhebens darum zu machen.“
Der Bursche knurrte
unwillig. „Ach verdammt, ich werde sie nochmal öffnen müssen“, sagte er dann.
Die beiden Hünen
schauten sich ratlos an, als er kraftlos zusammenbrach.
Stephen hatte ihr von
dem fehlenden Schmuck erzählt und sie hatte sofort Harold in Verdacht gehabt.
Stephen aber wollte nichts von ihrem Verdacht wissen. Er hatte es weit von sich
gewiesen. Statt auf sie zu hören war er losgeritten, um der Sache auf den Grund
zu gehen. Und falls es doch gefährlich werden sollte, würde sein Freund ihm
helfen, hatte er versucht, sie zu beruhigen. Gideon Blackmore wisse bestimmt,
was zu tun sei.
Sie war schon immer
misstrauisch gewesen und so hatte sie mit gepackten Taschen auf Nachricht
gewartet. Als ihre Späher gemeldet hatten, dass Harold sich näherte und nicht
Stephen, waren sie binnen einer halben Stunde verschwunden. Natürlich hätte sie
auch die Tore schließen lassen können, aber sie wusste, wenn Harold sie
belagerte, könnte sie keine Hilfe holen und auch nicht ihren Fall dem König
vortragen. Nein, sich zu verbarrikadieren war aussichtslos und unklug.
Also waren sie geflohen
und hatten zumindest theoretisch die Chance, sich die Burg zurückzuholen.
Die restlichen Bewohner
der Burg hatten die Anweisung erhalten, sich unauffällig zu verhalten. Nicht
rebellieren. Keinen Grund geben, sie zu strafen. Sie wussten, dass sie
zurückkommen würden. Man konnte sich auf sie verlassen.
Für die Bauern und
Pächter galt dasselbe. Sie würden sich fügen und abwarten. Keith war zu seiner
Familie zurückgekehrt und hielt für sie Augen und Ohren offen.
Sie betete, dass Harold
seine Wut nicht an den Pächtern und Bediensteten ausließ.
Nur mit Mühe hatte
Michael sie davon abhalten können, Harolds Kutsche anzugreifen. Seine Eskorte
hätte sie innerhalb kürzester Zeit abgeschlachtet. Harold hätte anschließend
behaupten können, nicht gewusst zu haben, wer sie war. So, wie er es mit ihrem
Gesicht getan hatte. Sie knirschte mit den Zähnen, musste Michael aber recht
geben. Nun ja, er würde noch andere Überraschungen erleben.
Er hatte sich
sicherlich bei seiner Ankunft geärgert, denn nicht nur sie und Christopher
waren verschwunden, auch die besten Pferde waren weg. Das verschaffte ihr eine
gewisse Genugtuung, so klein sie auch war.
Ihr Bruder hatte ihre
Flucht gelassen genommen, anfangs dachte Kathryn, dass er das für ein Spiel
oder eine Übung hielt. Schnell stellte sie aber fest, dass Christopher schlicht
und ergreifend an Türen lauschte und einfach gut informiert war. Und dass er
kein Kind mehr war. Er hielt sich fast für einen Mann.
Dass er ihr trotz
seines jugendlichen Überschwangs auf ihre Führung vertraute, machte sie stolz
und auch ein wenig sentimental.
Sie fand Christopher am
Bach hinter dem Lager, wo er sich am Angeln versuchte. In dem Korb neben ihm
lagen schon drei Fische, auch wenn sie nicht gerade groß waren, würden sie sie
heute Abend satt machen.
Sie setzte sich neben
ihn und er schaute sie fragend an. Er schien zu spüren, dass etwas geschehen
war, legte die Angel beiseite und ließ sich von ihr in den Arm nehmen.
„Was ist?“
Er löste sich wieder von ihr und ihr fiel auf, dass sie ihn viel zu lange und
heftig umarmt hatte. Er war schließlich kein Kleinkind mehr.
„Wir haben einen Gast.“
Christopher lachte
freudlos und fragte dann mit beißendem Spott: „Unser geliebter Onkel Harold?“
Kathryn krampfte sich
das Herz zusammen. Christopher war noch zu jung, um das Leben mit solcher
Ironie zu sehen. Wie gern hätte sie die Unschuld des Jungen bewahrt. Sie hätte
alles dafür gegeben.
„Seine Truppen sind
nicht mehr weit. Morgen werden sie uns erreichen. Wir müssen fliehen.“
Er nickte. Auch er war
nicht dumm. Wenn sie noch hier waren, wenn Harold kommen würde, wären sie
verloren.
Sie waren jetzt zwar
erst seit drei Tagen im Wald untergetaucht, aber
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