Ungezaehmte Leidenschaft
Gilmore Leybrooks selbstsicheren Schritt auf dem Gang vor ihrer Tür. Als er im Eingang stehen blieb, erhob sich Matt.
»Guten Morgen, Virginia«, sagte Gilmore. »Welch sagte mir, Sie seien eingetroffen.« Er musterte Matt abschätzend. »Er erwähnte auch, dass Sie einen neuen Assistenten hätten.«
»Ich entschloss mich, Ihrem Beispiel zu folgen, Mr. Leybrook«, sagte sie geschmeidig. »Sie haben mehrmals betont, dass sich Klienten gern von Praktikern beeindrucken lassen, die einen Assistenten haben. Mr. Kern hat eine Anstellung bei mir angenommen.«
»Ich verstehe.« Gilmore schien nicht erfreut. Matt ignorierend, warf er einen Blick auf ihren offenen Terminkalender. »Haben Sie heute viel zu tun?«, fragte er Virginia.
»Nicht besonders«, sagte sie, wie immer darauf bedacht, bei Leybrook einen betont professionellen Ton anzuschlagen. »Nachmittags habe ich eine Konsultation, aber abends keine Deutung.«
»Welch sagte, Sie hätten in Lady Mansfield eine sehr wichtige neue Kundin gewonnen.« Gilmore trat nun unaufgefordert ganz ein. »Meinen Glückwunsch.«
Plötzlich fühlte sie sich in ihrem Büro unwohl. Die zwei Männer schienen den gesamten kleinen Raum für sich einzunehmen.
»Lady Mansfield bat nur um eine Konsultation«, sagte sie. »Ich bezweifle sehr, dass sie regelmäßig kommen wird.«
Gilmore ließ sich auf einem der zwei vor dem Schreibtisch stehenden hölzernen Stühle nieder und zog die Hosenbeine ein Stück hoch. »Hoffen wir, dass Sie die Dame zu weiteren Sitzungen überreden können.«
Virginia lächelte, entschlossen zu lügen. »Ich werde mein Bestes tun. Sonst noch etwas, Mr. Leybrook? Wenn nicht, würde ich mich gern auf meinen Termin vorbereiten.«
»Ja, Virginia, da wäre noch etwas.« Leybrook zog eine seiner dunklen Brauen hoch und warf einen kurzen Blick auf Matt. »Seien Sie so gut und gehen Sie kurz auf den Gang, Mr. Kern. Ich möchte Miss Dean unter vier Augen sprechen.«
Matt rührte sich nicht, er sah Virginia fragend an. Sie hatte gewusst, dass es zu dieser Konfrontation kommen würde. Am besten, sie brachte die Sache möglichst rasch und unauffällig hinter sich.
»Schon gut, Matt«, sagte sie ruhig. »Bitte, warten Sie auf dem Gang. Mr. Leybrook wird nicht lange bleiben. Nehmen Sie das Journal als Lektüre mit.«
Matt widersprach nicht, obwohl er kaum erbaut schien. »Ich bin in der Nähe, Ma’am, falls Sie mich brauchen.«
»Danke«, sagte Virginia.
Matt ging hinaus, ließ aber die Tür hinter sich offen. Leybrook stand auf und schloss sie mit Nachdruck.
»Ihr neuer Mitarbeiter ist Ihnen wohl sehr ergeben«, bemerkte er süffisant und setzte sich wieder.
Virginia wappnete sich für das Gefecht. Sie musste sehr vorsichtig vorgehen, wenn sie nicht wollte, dass dieser Tag ihr letzter im Institut sein würde.
»Ich glaube, Mr. Kern hat eine Nase für das Geschäft. Was wollten Sie mit mir besprechen?«
»Leider hat sich gezeigt, dass Miss Walters sich für die Position, für die ich sie engagierte, nicht eignet.«
»Das wundert mich. Sie scheint doch allen Anforderungen, die Sie an eine Assistentin stellen, zu entsprechen.«
»Meine Anforderungen haben sich geändert.«
»Ich verstehe.«
»Miss Dean, da ich zu dem Schluss gelangte, dass Sie für diese Position sehr geeignet wären, biete ich Ihnen die Stelle an.«
Virginia lächelte, mit dem, wie sie hoffte, richtigen Ausmaß an Bedauern. »Mr. Leybrook, ich bin sehr geschmeichelt, kann Ihr Angebot aber leider nicht annehmen«, sagte sie. »Wie Sie sehen, habe ich eben selbst einen Assistenten eingestellt.«
Unwillen huschte über Leybrooks Züge und war im nächsten Moment wieder verschwunden. »Das ist wohl kaum jene Art Position, die ich Ihnen biete«, sagte er. »Darf ich fragen, warum Sie nicht interessiert sind?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin mir der einzigartigen Ehre Ihres Angebots sehr wohl bewusst. Aber ich bin entschlossen, meinen Beruf als Spiegel-Deuterin weiter auszuüben.«
»Ich habe nicht die Absicht, Sie davon abzuhalten, falls Sie meine Assistentin wären«, sagte Gilmore hastig. »Ganz im Gegenteil. Ich habe viel darüber nachgedacht und bin nun überzeugt, dass eine Zusammenarbeit uns zu dem gefragtesten Spiegel-Deuter-Team Londons machen würde.«
Virginia griff zu ihrer Schreibfeder. »Aber Sie sind kein Spiegel-Deuter.«
»Nein«, räumte er lächelnd ein. »Meine Talente liegen woanders. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht als Team Konsultationen
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