Ungezaehmte Leidenschaft
dreihundert Jahren in seiner Seele entzündet hatte, war unerklärlicherweise von ihm gewichen.
Wie war das möglich? War das auch wieder nur Zauberei?
Spielte das überhaupt eine Rolle für ihn?
Trotz der Tatsache, dass er angekettet auf einem kalten Felssockel lag und wieder in die Fänge einer Zauberin geraten war, war er mehr mit sich im Reinen, als er es seit Jahren gewesen war. Eine ruhige Ausgeglichenheit, wie er sie seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte. War er von ihr auf irgendeine wunderbare Art und Weise geheilt worden? Oder berührte ihn ihre Nähe in einer für ihn bislang noch nie erlebten Form, die er sich auch nie hatte vorstellen können?
Diese Möglichkeit erschütterte ihn. Fast hoffte er, es wäre nur Zauberei. Nur eine Lüge. Denn andernfalls, wenn dieses Nachlassen seiner inneren Qualen, mit denen er jahrhundertelang gelebt hatte, irgendetwas mit ihr zu tun hatte …
Mit einer Hexe.
Der Himmel stehe ihm bei. Das war wirklich das Letzte, was er wollte – sie zu brauchen. Noch mehr, als er es sowieso schon tat.
*
Paenther erwachte, als er Schritte hörte, noch ehe die Stahltür aufsprang und krachend gegen die Wand schlug. Die Hexe wurde mit einem Ruck wach und fuhr hoch, sodass ihm der Duft von noch vom Schlaf warmen Veilchen und der scharfe Geruch von Angst in die Nase stiegen. Auf der Schwelle stand ein Mann, der die hagere Gestalt eines Magiers hatte und dessen Haar mehrere Nuancen heller war als seine Haut. Sein Gesicht war schmal, die Lippen dünn, und in seinen Augen mit der von einem kupfernen Ring umgebenen Iris blitzte kalte Wut.
Paenthers Muskeln spannten sich zu einem Kampf an, den er nicht würde führen können, während die Wut durch seinen Körper raste, als er sich trotz der Handschellen aufbäumte, bis sie ihm ins Fleisch schnitten. Der ungewohnte Frieden, der ihn erfüllt hatte, als er in der Nacht aufgewacht war, hatte sich in nichts aufgelöst, sobald er die Furcht der Frau spürte.
»Birik«, hauchte die Hexe mit weit aufgerissenen Augen. Ihre Stimme klang vor Angst ganz gepresst.
»Ich habe dich gewarnt«, erklärte der Magier mit kalter Stimme und kam auf den Felssockel zu.
»Aber …«
Der Magier packte sie am Oberarm und riss sie vom Sockel herunter. Als die Hexe taumelte, zerrte er sie zur Wand, packte ihre Schultern und stieß sie nach hinten, bis ihr Schädel mit einem widerlichen Krachen gegen den Stein knallte.
Paenther erstarrte vor fassungslosem Zorn, aber der Mistkerl ließ immer noch nicht von ihr ab. Brutal griffen seine Finger in ihr Gesicht und drückten so lange zu, bis sich die Augen der Hexe vor Schmerz weiteten und Paenther der stechende Geruch von brennendem Fleisch und Blut in die Nase stieg.
Endlich ließ der Magier sie los. Als die zierliche Frau zu Boden sank, versetzte er ihr mehrere harte Tritte in die Rippen und einen seitlich an den Kopf, ehe er den Raum verließ, ohne noch einmal zurückzuschauen.
Paenther starrte die Frau an, die wie eine zerbrochene Puppe auf dem feuchten Felsboden lag. Blut lief ihr auf der Seite des Kopfes über die Wange, wo der Mistkerl ihr wahrscheinlich den Schädelknochen gebrochen hatte. Eine ganze Weile waren das stete Tropfen von Wasser und das schwache, dünne Pochen ihres Herzens die einzigen Geräusche, die im Raum zu hören waren.
»Hexe?«, rief er leise. Von ihr kam jedoch keine Reaktion, und so wusste er nicht, ob sie ihn gehört hatte.
Von Minute zu Minute wurde ihr Herzschlag kräftiger, während ihr unsterblicher Körper die verheerenden Verletzungen des Angriffs heilte, bis sie sich schließlich rührte. Schmerzhaft langsam zog sie die Beine an und legte die Arme um die Knie, als wollte sie sich vor weiteren Angriffen schützen. Doch genau wie während des Angriffs ertrug sie auch jetzt die Schmerzen ohne ein Stöhnen oder Schreien. Ihr Leiden war noch schwerer anzusehen, weil sie es so stillschweigend ertrug.
Sein Magen zog sich krampfhaft zusammen, als er sich daran erinnerte, wie er sie am Arm verletzt hatte. Und wie sie auch da, ohne einen Laut von sich zu geben, gelitten hatte.
Er wusste nicht recht, was er von ihr halten sollte. Sie hatte vor ihm verborgen, was sie war, hatte ihn in ihren Bann gezogen und gefangen genommen. Sie stellte all das dar, was er hasste. Doch jetzt sah er sich gezwungen, darüber nachzudenken, ob sie bei der Sache überhaupt eine Wahl gehabt hatte.
Hatte er sich in ihr geirrt? Gab es vielleicht tatsächlich so etwas wie eine sanfte Hexe? Eines war
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