Ungezaehmte Leidenschaft
ebenfalls ihre Seelen verloren hatten und nun zu Inirs Armee gehörten.
Sie wischte sich die Träne weg, die ihr über die Wange lief. Aber es spielte sowieso alles keine Rolle, denn sie würde nie frei sein. Eine Flucht war unmöglich. Die Krieger des Lichts würden sie niemals gehen lassen. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie sie überhaupt am Leben lassen würden, sobald sie ihnen alles erzählt hatte, was sie über Birik und die Dämonen wusste.
Die Erinnerung an die Ereignisse, deren Zeuge sie geworden war, ließ sie sich krümmen, bis sie meinte, ihr würde wieder schlecht werden. Das Entsetzen dieser armen Menschen stand ihr immer noch lebhaft vor Augen … ihre Schreie würde sie wohl für immer hören. Der üble Gestank des Dämons schien sich ihr bis in alle Ewigkeit in die Nase eingebrannt zu haben.
Sie presste den Rücken ihrer Faust auf den Mund. Noch ein weiterer Grund, dass Birik ihrer auf keinen Fall wieder habhaft werden durfte. Er würde nur versuchen, mithilfe ihrer Energie weitere dieser Monster zu befreien. Und wenn es ihm nicht gelänge, auch Paenther wieder in seine Gewalt zu bekommen, würde er nach anderen Mitteln und Wegen suchen, um noch mehr Dämonen zu befreien.
Sie wollte eher sterben, als ihm helfen, noch mehr von diesen Monstern in die Welt der Menschen zu bringen.
Langsam ließ sie sich zu Boden sinken. Ihr war ganz kalt angesichts der Trostlosigkeit der vor ihr liegenden Zukunft. Ihr altes Leben war vorbei. Und es gab nichts, wodurch sie es hätte ersetzen können. Zurück konnte sie nicht, aber gefangen in einer Zelle im Haus der Krieger gab es auch keinen Weg nach vorn. Dann war es das also gewesen?
Sie ließ ihren Kopf nach hinten gegen die Wand sinken, und die Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie sich wieder an Paenthers Worte erinnerte. Ob wir nun entscheiden, das Böse leben zu lassen, oder ob wir kämpfen, um es zu vernichten, bestimmt den Lauf unseres Lebens. Entscheide dich, Skye.
Sie stieß ein leises Schnauben aus. Sie hatte doch gar keine Möglichkeit, sich zu entscheiden.
Andererseits hatte sie eine Entscheidung getroffen, oder nicht? Sie hatte Paenther befreit und sich dabei eher zufällig Biriks Kontrolle entzogen. Und es war die richtige Entscheidung gewesen, egal, was jetzt mit ihr passierte.
Wenn die Krieger kamen, um sie zu verhören, würde sie ihnen alles erzählen, was sie wusste. Vielleicht konnte sie ihnen ja in irgendeiner Weise dabei helfen, Birik und seine Dämonen zu vernichten. Vielleicht gelänge es ihr sogar, einen kleinen Teil des Leids, das sie durch ihre Gabe verursacht hatte, wieder wettzumachen. Und wenn sie dann immer noch das Gefühl hatten, sie umbringen zu müssen, dann war das eben so. Was für ein Leben war das denn, wenn so viele ihretwegen sterben würden, so viele ihretwegen schon gestorben waren?
Ein heftiges Beben ging durch ihren Leib, sodass sie die Knie anzog und die Arme fest um sie legte.
Dann war das halt so.
Aber, ach, liebste Mutter, ich will nicht sterben.
*
Als Paenther mit Evangeline die Treppe herunterkam, öffnete Lyon gerade die Haustür, um den Schamanen hereinzulassen. Allem Anschein nach handelte es sich bei dem Mann, der ins Haus der Krieger trat, um kaum mehr als einen halbwüchsigen Jungen, einen Fünfzehnjährigen, der ein Kostüm trug – das weiße Rüschenhemd und die schwarze Hose gehörten einer längst vergangenen Epoche an. Er begrüßte Lyon mit einem Nicken und schaute dann zu Paenther auf, wobei seine Augen in dem jugendlichen Gesicht seltsam alt wirkten. Der Schamane begrüßte auch ihn mit einem kurzen Nicken und sagte: »Krieger.«
»Schamane.« Ein Knurren drang aus Paenthers Kehle. »Nimm mir diese Eisenringe ab.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
Unten in der Eingangshalle angekommen, bedeutete Paenther dem Schamanen, mit ins Wohnzimmer zu kommen. Wie alle Räume im Haus der Krieger waren auch hier die Wände mit echten Ölgemälden bedeckt, von denen die meisten aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts stammten.
Paenther setzte sich in einen der gemütlichen Sessel, während der Schamane sich eine Fußbank heranzog. Dann nahm er einen von Paenthers Armen und drückte seine schlanken Finger auf den Eisenring. Er schloss die Augen und begann zu singen. Die leisen Worte, die er dabei benutzte, entstammten einer Sprache, die Paenther schon früher einmal bei ihm gehört hatte, die er selber aber nicht beherrschte. Die Minuten vergingen, lange Minuten voller
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