Ungezaehmte Leidenschaft
Gestaltwandler – zu entführen. Einen jener herausragenden Krieger des Lichts. Eines der seltensten Geschöpfe auf der Welt und zweifellos auch eines der schönsten. Er hatte ihr solch außergewöhnliche Sanftheit entgegengebracht, solch wilde Leidenschaft, und sie vergalt es ihm mit der schlimmsten Sorte von Betrug.
Aber sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie diesen Albtraum doch nur beenden könnte. Könnte sie Birik und diesen Bergen doch nur entfliehen!
Als etwas gegen ihre Hüfte stupste, sank sie auf die Knie, um das Reh zu umarmen, das sofort wieder zu ihr zurückgekommen war. »Wie immer treu, nicht wahr, Faithful?« Das Reh mit dem eingekerbten Ohr mochte sie am liebsten. Es war ihr einzig wahrer Freund. Nie würde sie es in die Höhle mitnehmen. Niemals.
Das Reh rieb seine Nase an ihrer Wange und sah sie mit seinen großen braunen Augen an, während es ihr die einzige Zuwendung schenkte, die sie seit zu vielen Jahren erfuhr. Trauer und Verzweiflung ließen ihre Augen brennen. Angst beherrschte sie. Obwohl Birik ihr versichert hatte, dass es nicht seine Absicht war, den Krieger des Lichts zu töten, war sie doch voller Furcht, dass er sie angelogen haben könnte.
Sie schlang beide Arme um Faithful, drückte ihr Gesicht in den warmen braunen Hals und wünschte sich sehnlichst ein Wunder, welches sie alle retten würde. Aber sie hatte schon vor langer Zeit aufgehört, an Wunder zu glauben.
Langsam kamen auch die anderen Rehe zurück, um sich um sie scharen … genau wie mehrere Dutzend anderer Geschöpfe des Waldes. Es erfüllte sie mit Freude … und mit Kummer, dass alle so von ihr angezogen wurden. Mit einer letzten Liebkosung verabschiedete sie sich von Faithful und schickte das Reh fort, während sie ein anderes auswählte, das sie zusammen mit mehreren kleineren Tieren zur Höhle begleiten sollte.
Wie sehr sie sich auch davor fürchten mochte, dem Krieger des Lichts gegenüberzutreten, wie sehr sie vor der Wut Angst hatte, die sie in diesen dunklen Augen sehen würde, welche sie zuvor mit so viel Zärtlichkeit angeschaut hatten, so wusste sie doch, dass sie zu ihm zurückkehren musste.
Nur um inständig zu hoffen, dass es ihr gelingen möge, ihn am Leben zu erhalten.
*
Als Erstes nahm Paenther den Geruch der Hexe wahr, diesen verfluchten, zarten Veilchenduft, noch ehe die überirdische Schönheit durch die Tür kam, dieses Wesen, zwischen deren Schenkeln er das Paradies gefunden hatte, um dann von ihrem Zauber gebannt zu werden. Bei ihrem Anblick wurde er wieder von rasendem Verlangen nach ihr ergriffen. Auch wenn der Hass sein Blut zum Kochen brachte, konnte er sich an ihr nicht sattsehen. Sie war schlank, und das weich fließende blaue Kleid gab nur wenig von ihren Rundungen preis. Doch ihr kurzes Haar betonte den langen, anmutigen Hals und die Gesichtszüge, die zu schön, zu zart für eine kaltherzige Hexe waren.
Ob nun Zauberin oder nicht … sie raubte ihm den Atem.
Sie musterte ihn mit argwöhnischem Blick, während sie das Kaninchen auf ihrem Arm streichelte. Neben ihr stand ein Reh, welches seinen Kopf gegen ihre Hüfte drückte, während mehrere aufgeregte Eichhörnchen sich zu ihren Füßen jagten.
Er hatte gedacht, sie wäre ein Mensch.
Er schloss die Augen, um sie nicht länger ansehen zu müssen, und wünschte sich inständig, dass der schwere Fehler, der ihm da unterlaufen war, nicht sein letzter sein möge.
Als er hörte, wie sie sich leise bewegte, öffnete er die Augen und beobachtete, wie sie ihre kleine Menagerie quer durch den Raum zu einem Käfig in der Ecke führte. Das Kaninchen und die Eichhörnchen liefen hinein, und sie schloss die Tür, um dann das fügsame Reh mit einem Seil locker an der Wand festzumachen. Mitgefühl mit den Tieren erfasste ihn. Mit Tieren, die sie genauso eingefangen hatte wie ihn.
Die Tiere schienen sie zu mögen. Bestimmt waren es zahme Haustiere. Er stieß ein leises Knurren aus. Er würde sich nie zu ihrem Haustier machen lassen.
Der Hass, der in ihm tobte, war so kalt und unversöhnlich, dass sie längst tot gewesen wäre, würden Blicke töten können. Gütiger Himmel, er konnte sich nicht daran erinnern, wann er seinem Unterleib das letzte Mal das Denken überlassen hatte. Seit Jahrhunderten war es keiner Frau gelungen, seine eiserne Selbstdisziplin zu durchbrechen. Dass es dieser einen hier gelungen war, hätte tausend Alarmglocken zum Läuten bringen und ihm sagen müssen, dass sie nicht das war, was sie zu sein schien.
» Hexe
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