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Ungezaehmte Nacht

Ungezaehmte Nacht

Titel: Ungezaehmte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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anzustarren.
    Hauptmann Bartolmeis Jackett lag dort – oder vielmehr das, was davon übrig war. Der Stoff war vollkommen zerfetzt, aufgrund der langen Risse darin war das Jackett fast nicht wiederzuerkennen und sah nur noch wie ein Häufchen Lumpen aus. Auf dem Fußboden vor dem Schrank waren Krallenspuren zu sehen, große, tiefe Kratzer, die das Holz auf irreparable Art verschandelten. Neben den zerlumpten Überbleibseln des Jacketts lag das Kleid, das Isabella am Abend zuvor getragen hatte. Es war in genauso viele kleine Fetzen zerrissen, die sich mit denen von Hauptmann Bartolmeis Rock vermischten.
    »Isabella«, flüsterte Sarina, von Panik ergriffen. »Wir müssen Euch aus dem Tal fortbringen. Es muss einen Weg geben, Euch hier herauszubringen.«
    Isabella legte beruhigend einen Arm um die Schultern der älteren Frau. »Komm, Sarina, wir müssen mich zum Tee ankleiden! Ich möchte Don DeMarco nicht warten lassen. Und Betto soll das Jackett und das Kleid verbrennen.« Sie sehnte sich nach Lucca, obwohl sie merkwürdigerweise sogar Bedenken hatte, ihrem geliebten Bruder Nicolais Geschichte zu erzählen.
    »Isabella!«, protestierte Sarina wieder.
    »Sag nichts! Erzähl niemandem auch nur ein Wort davon! Lass mich darüber nachdenken!«, befahl sie in ihrem gebieterischsten Ton, um die Einwände der Wirtschafterin im Keim zu ersticken.
    Während Isabella spürte, wie Sarina sich mit zitternden Händen mit ihrem Haar beschäftigte, versuchte sie herauszufinden, warum sie innerlich so zerrissen war. War es möglich, dass sie sich in Nicolai verliebt hatte? So sehr verliebt, dass sie nicht zögerte, ihr Leben zu riskieren? Sie hatte ihm gesagt, sie sei bereit, ihr Leben gegen das ihres Bruders einzutauschen, und das war ihr ernst gemeint gewesen. Doch woher kam diese unerschütterliche Loyalität Nicolai gegenüber, das Bedürfnis, zu bleiben und diesen Ausdruck vollkommener Einsamkeit aus seinen Augen zu vertreiben?
    Ein Erschaudern durchlief sie, und ihr Herz begann zu rasen bei dem Gedanken, von einem Löwen mit glühenden bernsteinfarbenen Augen zerrissen und zerfleischt zu werden. Nicolai befürchtete, dass so etwas geschehen würde. Das hatte er ihr selbst gesagt. Das war von Anfang an seine Angst gewesen, als er sie gefragt hatte, ob sie ihr Leben gegen Luccas tauschen würde.
    Für einen Moment versuchte Isabella, ihre Nerven und ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Lucca riet ihr immer, die Dinge zu durchdenken, doch sie hatte ein seltsames Brummen in den Ohren, und in ihrem Kopf herrschte das reinste Chaos. »Ich will gut aussehen, Sarina.« Sie brauchte das zusätzliche Selbstvertrauen. »Wir werden den Tee im Speisesaal und nicht in den Zimmern des Dons einnehmen.« Isabella war nicht sicher, ob sie Angst hatte, mit ihm allein zu sein, oder ob sie wollte, dass seine Leute Nicolai bei einer ganz normalen Tätigkeit sahen. Plötzlich erschien es ihr wichtiger denn je, dass er in aller Öffentlichkeit mit ihr speiste, wie es jeder andere Gentleman tun würde.
    Sarina nickte zustimmend. »Es ist höchste Zeit dazu, finde ich.«
    Isabella warf einen letzten Blick in den Spiegel, um ihr Aussehen zu überprüfen. Zufrieden, dass ihre Panik sich nicht in ihrem Gesicht verriet, holte sie tief Luft und verließ ihr Schlafzimmer, um über die breite, gewundene Treppe hinunterzugehen. Das eng anliegende Oberteil des Kleides umschmeichelte ihre Figur, bevor der weiche Stoff in großzügigen Falten von ihrer Taille herabfiel und beim Gehen leise raschelte. Ihr üppiges Haar war zu einer kunstvollen Lockenfrisur hochgesteckt und verlieh ihr eine Eleganz, die bei ihrer Größe nicht leicht zu erlangen war. Aber niemand würde hinter dieser eleganten Erscheinung die Furcht vermuten, die sie auf der Zunge schmeckte. Sie ging hocherhobenen Hauptes, in majestätischer Haltung, wie es sich für ein Mitglied der Aristokratie gehörte.
    Überall auf dem Korridor flackerten Kerzen in den Wandhaltern und ließen deutlich die geschnitzten Löwen mit ihren Fängen und Pranken hervortreten. Die ausdruckslosen kalten Augen der Schnitzereien starrten sie an und schienen jede ihrer Bewegungen zu verfolgen, als sie durch die Gänge schritt. Isabella war sich der Flügel an den Geschöpfen ebenso gut bewusst wie der Unmenge der Pranken, die sich nach ihr auszustrecken schienen. Sie ertappte sich dabei, wie sie die Ohren spitzte und auf eine Bewegung lauschte, als sie sich zum Speisesaal begab, um ihren Bräutigam zu treffen.
    Don

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