Unglaubliche Reise des Smithy Ide
lässt so ein Aufzugdings herunterkommen und setzt mich ans Steuer. Gas und Bremsen bediene ich mit der Hand. Mit den Händen bin ich gut in Form. Ich mache Gewichtheben. Mein Herz-Kreislauf-System ist gut. Wirklich.«
»Das ist toll«, sagte ich, wie ich fast alles sage: blöde.
»Ich wollt’s dir nur sagen.«
Norma sah hübsch aus, wenn sie sprach. Wenn sie sprach, sah sie nicht trotzig aus. Ich nehme an, jemand, der im Rollstuhl sitzt, entwickelt eine bestimmte Haltung. Ich nehme an, diese Haltung ist Trotz.
»Ich arbeite als freie Zeichnerin.« Sie sah ihren Van an. »Ich habe ein Faxgerät, Computeranschluss, kippbaren Zeichentisch – alles. Ich mache ein bisschen Zeitschriftenlayout, ein bisschen für das Providence Journal, aber hauptsächlich, weil sie sich auf meine gleichmäßige Linienführung verlassen können, arbeite ich an Bauzeichnungen. Das ist ein Talent, weißt du? Ich bin sehr, sehr gut.«
»Ich …«
»Und weil ich dich nie sehe, wollte ich dir das sagen. Ich wollte nicht, dass du glaubst, ich rolle in Beas Haus herum und tue nichts. Ich arbeite fast den ganzen Tag. Ich bezahle die Rechnungen, ich sorge für meine Mutter. Nicht umgekehrt. Ich habe ein Trainingsprogramm, damit ich mein Herz-Kreislauf-System in Schuss halten kann.«
Norma hatte mich immer noch nicht angesehen. Ihre Arme und Schultern wirkten kräftig, und sie saß – das ist wahr – groß und aufrecht in ihrem Rollstuhl. Sie hatte eine Bruststimme, die voll und hart klang. Ich spürte, wie der Bourbon mich wärmte. Ich fing an zu schwitzen und musste pinkeln.
»Hast du meine Briefe gekriegt?«
»Briefe?«, fragte ich blöde.
»Ich hab dir ins Krankenhaus geschrieben.«
Das Krankenhaus lag vierundzwanzig Jahre zurück.
»Ich hab dir jeden Tag geschrieben. Ich hab dir gute Gedanken geschickt.«
»Ich erinnere mich.«
»Wieso bist du dann nie rübergekommen, um mich zu besuchen? Wieso nicht? Blöde Frage. Vergiss es. Es tut mir so Leid wegen Mom und Pop. Sie waren so gut. Sie haben immer Händchen gehalten. Ich schaute aus dem Fenster, und da hielten sie Händchen. Das war furchtbar nett. Und es war nicht leicht für sie. Bethany war so schön und so nett. Aber für die beiden war es schwer. Weißt du, wo sie jetzt ist?«
»Das wissen wir nicht. Ich meine, ich weiß es nicht.«
»Einfach weg«, sagte Norma. »Sie klopfte immer an mein Fenster, und wenn ich es aufmachte, warf sie mir eine Kusshand herein. Oder sie machte eine Pose. Manchmal hielt sie die Pose zu lange. Weißt du noch?«
»Das weiß ich noch«, sagte ich weniger blöde.
»Sie war so schön, aber für Mom und Pop war es schwer. Wie soll man wissen, was man tun soll, wenn man einen Menschen liebt und der sich verletzt? Ich bin auch sauber. Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ob du schon Leute gekannt hast, die nicht gehen können. Manchmal denkt man, die können sich nicht sauber halten. Ich hab für alles eine technische Hilfe. Sauber. Und sehr, sehr beweglich. Ich sorge für Bea, weißt du. Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht kann. Du hast dich nicht verändert.«
Ich legte eine Hand an meine Brust. Unbewusst rutschte sie herunter bis zu dem Wulst über meinem Bauch. Darunter hing die gewaltige Lawine von Eingeweiden über meinen engen Gürtel und trotzte der Schwerkraft und anderen Gesetzen. Meine andere Hand fuhr ungehindert durch die paar Strähnen von ergrauendem braunen Haar auf meinem Kopf. Ich war betrunken, aber daran war ich gewöhnt.
»Ich meine«, fuhr sie fort, als wolle sie sich verbessern, »du siehst großartig aus.«
»Ich … ich muss jetzt wieder rein, Norma. Meine Tante und mein Onkel …«
»Oh, ja, ja, geh lieber. Es tut mir so Leid. Sie waren wirklich wundervolle, wundervolle Menschen.«
Ich kehrte zurück in das Bestattungsinstitut. Ich war betäubt von Bourbon und Bier, und ich spürte immer wieder einen verstörenden kleinen Schmerz in meinem rasenden Herzen, aber ich fühlte sie immer noch, wirklich, ich fühlte, wie sie mich ansah, als ich ging, als wäre sie hinter dieser geschlossenen Jalousie im Dunkeln.
8
Mom und Pop waren immer dann am besten, wenn alles am schlimmsten war. Dann trat eine bestimmte Ruhe ein, und die legte sich auf unser Haus. Wir hatten so lange auf das böse Ende gewartet, dass es fast einer Erleichterung gleichkam, als es so weit war. Wir brauchten nicht mehr in dieser gereizten, nervösen Zone zu warten, und für eine Weile waren wir davon befreit. Vom Warten, meine ich.
Ich war
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