Ungnade: Thriller (German Edition)
sonnengebräuntes Gesicht. Als Logan neben ihm Platz nahm, lächelte er und reichte ihm ein kleines Handtuch.
Mit einem soliden Klicken fiel die Tür ins Schloss, und der Fahrer entfernte sich vom Wagen. Logan sah noch, wie er einen Taschenschirm öffnete und die Straße hinunterging.
» Terry versteht, dass ich manchmal ein bisschen Privatsphäre brauche«, sagte der Mann neben Logan. Er hatte ebenfalls einen englischen Akzent.
» Worum geht es?«, fragte Logan und trocknete sich mit dem Handtuch Haare und Gesicht. » Ist es wegen Alex?«
» Teilweise«, sagte der Mann. » Wenn ich mich Ihnen vorstellen dürfte, werden die Zusammenhänge etwas deutlicher.«
Durch die an der Seitenscheibe hinunterlaufenden Regentropfen wurde das einfallende Licht der Straßenbeleuchtung gebrochen. Schattige Streifen fielen auf das lächelnde Gesicht des Mannes. Für Logan wirkte das Lächeln wie eine Maske, als verberge sich dahinter das wahre Gesicht. Der Mann hielt ihm die rechte Hand hin, und Logan schüttelte sie– der andere ließ sie erst wieder los, nachdem einige Momente verstrichen waren.
» Ich bin Gabriel Weiss«, stellte er sich vor.
Der weiße Engel grinste.
5 . Teil : Entscheidungen
1
Haben Sie mal den Film ›Sophies Entscheidung‹ gesehen?«, fragte Weiss.
Logan schüttelte wortlos den Kopf. Ihm war nicht nach Smalltalk zumute.
» Großartiger Film«, sagte Weiss. » Aber sehr düster.«
Logan bemerkte das Leuchten in Weiss’ Augen. So mancher würde es als Zeichen eines wachen Verstandes missdeuten. Er selbst sah darin aber das, was es in Wahrheit darstellte: Fanatismus.
» Meryl Streep ist eine jüdische Mutter, die von den Nazis ins Konzentrationslager gebracht wird. Ihre beiden Kinder, einen kleinen Jungen und ein Mädchen, hat sie bei sich. Der Film spielt allerdings nach dem Krieg. Erst in Rückblenden erfährt man nach und nach, was damals in dem Lager wirklich geschehen ist. Sie kennen die Technik bestimmt.«
Er machte eine Pause und wartete darauf, dass Logan etwas sagte, der aber nur nickte.
Wovon, zum Teufel, redet der Kerl?
» Die Crux ist jedenfalls, dass einer der Wächter des Konzentrationslagers, ein richtiges Arschloch, ihr sagt, sie müsse sich zwischen ihrem Sohn und ihrer Tochter entscheiden. Eines ihrer Kinder könne bei ihr bleiben, das andere würde ihr entzogen werden.« Weiss schüttelte den Kopf und blickte einen Augenblick lang in die Nacht. Logan wartete, dass er weitererzählte.
» Meryl Streep schreit und heult und macht ein Riesentheater. Ich meine, die Frau kann echt schauspielern. Aber letzten Endes bleibt ihr nichts anderes übrig, als dem Wächter eines ihrer Kinder zu übergeben. Ich weiß nicht mehr, ob es der Junge oder das Mädchen war, aber das spielt eigentlich auch keine Rolle.«
Weiss sah Logan an und strich sich mit der Hand über das Haar. » Sie sieht das Kind nie wieder. Am Boden zerstört begeht sie am Ende Selbstmord. Wie ich schon sagte, ein sehr düsterer Film.«
Pause.
» Nun, der Film hat mich daran erinnert, welche Entscheidungen wir im Leben treffen und welche Konsequenzen diese Entscheidungen auslösen. Ich hatte mich beispielsweise entschieden, die Russen in meine Organisation aufzunehmen und ihnen die Abwicklung eines Geschäfts hier in Schottland zu übertragen. Sie wissen, wovon ich spreche, oder?«
» Soll das eine rhetorische Frage sein?« Es überraschte Logan, wie feindselig seine Stimme klang.
Weiss sah ihn an und sprach weiter, als ob Logan nichts gesagt hätte. » Die Russen waren diejenigen, die die Entscheidungen getroffen haben, Ihre frühere Freundin umzubringen und Ihre Tochter, die kleine Ellie, zu entführen. Daran werden Sie sich wohl noch erinnern?«
» In der Tat. Ich erinnere mich auch, einem von ihnen eine Kugel verpasst zu haben.«
» Ja, so etwas vergisst man nicht.«
Weiss griff in seine Sakkotasche und holte eine Zigarette und ein kleines, teuer aussehendes Feuerzeug hervor. » Stört es Sie?«, fragte er und steckte sich die Zigarette an, ohne eine Antwort abzuwarten. Der unangenehm warme Rauch kroch Logan in die Atemwege.
» Also, wo war ich stehen geblieben?«, sagte Weiss. » Ach ja, bei Entscheidungen.« Er nickte bestätigend. » Sie haben sich damals entschieden, einen meiner Männer zu erschießen, und jede Aktion löst eine gleichwertige Reaktion aus.«
» Ich habe es getan, weil Ihre Leute meine Tochter in ihrer Gewalt hatten. Ich war es, der reagiert hat.«
» Bitte, wenn Sie es so sehen
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