Unheil
Bankdirektor, hatte jedoch Leidenschaften in ihm entfacht, von deren Existenz er bislang nicht einmal geahnt hatte. Symes Lebensphilosophie ließ sich auf einen Satz bringen: Wenn ich jeden Tag ein wenig Unglück in Edward Smallwoods Leben bringen kann, dann ist dieser Tag nicht umsonst gewesen. Edward hatte es nur einmal vor seinen Eltern erwähnt, und die Schelte seines Vaters und das aufgeregte Mitgefühl seiner Mutter hatten ihn daran gehindert, es ein zweites Mal zu tun. Und so hatte er das Elend allein getragen, ein Elend, das er zuvor nur in seiner Schulzeit erfahren hatte. Er merkte wohl, wie andere Angestellte ihr Vergnügen an seinem Unbehagen in der Gegenwart des Direktors hatten, und daß auch dieser es genoß und sich keine Gelegenheit entgehen ließ, ihn vor den anderen zu demütigen, als ob sein Prestige durch die gehässigen Bemerkungen vermehrt würde. Edward seufzte bei dem Gedanken an die kleinen, aber unangenehmen Drangsalierungen, die der Tag wieder bringen würde. Mit etwas Glück würde Symes an diesem Tag zu einem seiner Treffs mit den örtlichen Geschäftsleuten gehen, und sie würden nicht viel voneinander zu sehen bekommen.
Edward schlug die Decke zurück und tastete nach seiner Brille, die irgendwo auf dem kleinen Nachttisch versteckt lag. Dabei stieß er die halb leer getrunkene Tasse mit schwachem Tee um, die seine Mutter ihm vorher gebracht hatte und machte ein unglückliches Gesicht. Der Tag war ihm schon durch den Nebel ruiniert worden, der plötzlich über ihn hereingebrochen war, als er um sechs Uhr früh an einem abgelegenen Uferstreifen des Flusses Avon geangelt hatte. Zweimal in der Woche fuhr er mit dem Rad hinaus zu seinem Lieblingsplatz, um zu angeln, ein Vergnügen, das sogar seine Eltern billigten. Sein Arzt empfahl ihm jeden Morgen frische Luft, um seinen chronischen Katarrh zu bekämpfen, ein Leiden, das ihn zwang, den ganzen Tag zu schnupfen. Er hatte nicht viel von der hilfreichen Wirkung der frischen Morgenluft gemerkt, aber großes Vergnügen an der stillen Einsamkeit des Flußufers gefunden, und das half ihm, sich gegen die Widrigkeiten des bevorstehenden Tages zu stählen. Er bedauerte sogar die Fische, die er fing, und versah seinen Angelhaken selten mit einem Köder. Dann und wann aber mußte er es tun, um die ernsthaften Erkundigungen seines Vaters zu befriedigen, aber es bereitete ihm stets Kummer, wenn er ein Leben aus seinem wässrigen Element zog.
Doch an diesem Morgen, vertieft in seine Gedanken, hatte er auf einmal bemerkt, daß er kaum noch das Ende seiner Angelleine sehen konnte, so unbemerkt war der gelbliche Nebel ringsum herangekrochen und hatte ihn eingehüllt. Ein wenig erschrocken über diese plötzliche Erscheinung, hatte er eilig sein Angelzeug eingepackt und sich auf den Rückweg zur Straße gemacht. Das hatte ihn gute zehn Minuten gekostet, weil seine Brille im Nebel immer wieder beschlagen war, und er in niedriges Gesträuch geriet und an Bäume stieß. Glücklicherweise erstreckte der Nebel sich nicht bis zur Hauptstraße, und mehr durch Glück als durch Orientierungssinn sah er sich bald wieder in hellem Sonnenschein. Seine Mutter war wie gewöhnlich übermäßig fürsorglich und mitfühlend, als er nach Hause kam, und steckte ihn für eine zusätzliche Ruhestunde ins Bett, bevor er zur Arbeit ging. Hinterher war er überrascht, daß er während dieser Stunde tatsächlich eingeschlafen war. Der Nebel hatte jedenfalls einen ekligen Geschmack in seinem Mund zurückgelassen, den der schwache Tee seiner Mutter kaum zu beseitigen vermochte.
Er fand die Brille und rieb sich die Augen, bevor er sie aufsetzte. Stirnrunzelnd registrierte er, daß er Kopfschmerzen hatte. Er ging zum Badezimmer, wünschte seinem Vater einen guten Morgen, als er an seiner Tür vorbeikam. Ohne hineinzusehen, wußte er, daß der alte Herr im Bett sitzen, den Telegraph lesen, Toast essen und Tee schlürfen würde.
»Guten Morgen, Edward!« kam die muntere Antwort, und Edward wiederholte sein »Guten Morgen, Vater.«
Nach einer zweiten und gründlicheren Morgentoilette kehrte er zurück in sein Zimmer und zog die Kleider an, die seine Mutter am Abend vorher sorgsam bereitgelegt hatte. Er ging die Treppe hinunter, küßte die ihm dargebotene Wange der Mutter und setzte sich an den Tisch. Trotz seines Morgenausfluges fühlte er sich nicht sehr hungrig. Er versuchte etwas zu essen, mußte den Teller aber nach ein paar Bissen unberührt lassen. Seine Mutter sah, daß er von
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