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Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Titel: Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.M. Nightingale
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hier draußen übernachten?“
         Kyra zögerte, stieg aber dann doch die breiten, pastellfarbenen Stufen empor und ging durch die Türe. Als diese mit lautem Getöse zu donnerte und die Geräusche der Straße erstickte, überkam sie ein seltsames, endgültiges Gefühl, als ob es nun kein Zurück mehr gab. Sie hatte die Tür zu ihrem bisherigen Leben für immer geschlossen und den Schlüssel unwiederbringlich weggeworfen. Diese neue Tür, die sich jetzt für sie auftat, barg etwas Unbekanntes. Dinge, die sie weder kannte, noch unter Kontrolle hatte.
         Ein Anflug von Klaustrophobie überkam sie beim Anblick der dicken Steinwände, dem vielen Eisen und Schrauben, die sie in diesem Gebäude gefangen hielten. Sie blickte sich um und sah als einzigen Fluchtweg nur die gläserne Tür, durch die sie gerade gekommen waren, doch draußen würde nur ihr altes Dasein auf sie warten. Für nichts auf der Welt wollte sie dahin zurück und so folgte sie Michael in einen der vier großen Aufzüge. Sie umklammerte das Geländer, so dass ihre Knöchel elfenbeinweiß hervortraten und schon nach kurzer Zeit anfingen zu schmerzen. Dass Michael auf den Knopf mit der 42 gedrückt hatte, ließ ihre Kiefer nervös mahlen. Es war das höchste Stockwerk.  Natürlich.  
         Warum nur hatte sie diesem Vorschlag zugestimmt? Hätte sie gewusst, dass sie Häuser mit der Höhe des K2 erklimmen musste, dann wäre sie auf der Stelle nach Hause gegangen, um zu packen und die Stadt zu verlassen.
         „Nervös?“, fragte Michael.
         „Nein!“, fauchte sie zurück und versuchte, sein hässliches Grinsen zu ignorieren.
         Sie mochte es ganz und gar nicht, dass er seine Augen mit einer Sonnenbrille verdeckte, so konnte sie nur schwer erahnen, was er gerade dachte. In ihr keimte der Wunsch auf, sie ihm aus dem Gesicht zu schleudern.
         Während der Fahrt ins oberste Geschoss, die Kyras Meinung nach viel zu lange dauerte, bestraften sie sich mit gegenseitigem Schweigen. Der Aufzug ruckelte und kam zitternd zum Stehen. Kyra ließ das Geländer los und dort, wo ihre Fäuste es umklammert hatten, waren nun tiefe Dellen zu sehen. Michael schüttelte nur den Kopf über so wenig Selbstbeherrschung, verlor aber kein Wort darüber, da dies nur erneut zu Streitereien und ermüdenden Wortgefechten geführt hätte. Die Türen öffneten sich lautlos und gaben die Sicht auf einen schlicht gehaltenen, eleganten Gang frei. Die Wände waren weiß gestrichen und ohne die geringsten Flecken, die zart cremefarbenen Marmorfliesen am Boden wurden von goldenen Adern durchzogen und blitzten spiegelblank poliert. Eine einsame Pflanze, die Kyra nicht zuordnen konnte, nahm die gesamte linke Ecke neben dem Aufzug ein und warf durch ihre großen Farnblätter einen Schatten auf die Wand. Alles war dezent und stilvoll und erinnerte Kyra auf unangenehme Weise an das Wartezimmer ihres damaligen Zahnarztes. Nur der sterile Geruch nach Putzmitteln und Alkohol fehlte. An der gegenüberliegenden Seite war eine mahagonifarbene Tür mit silbernem Knauf, kein Namensschild oder irgendein anderer Hinweis auf den etwaigen Bewohner dahinter. Nur eine kleine, weiße Türglocke, die einen schrillen Pfeifton von sich gab, als Michael darauf drückte. Kyra zog ihre Schultern hoch und verkroch sich tiefer in ihrem Mantel. Sie fühlte sich unsicher und wusste nicht, was jenseits dieser Tür auf sie wartete und ehrlich gesagt hätte sie auf dieses Wissen auch gerne verzichtet. Doch es war zu spät, um jetzt noch einen feigen Rückzieher zu machen. Vorsichtig wagte sie einen Blick aus dem Fenster auf die bunt beleuchtete Straße unter ihnen. Sofort hüpfte ihr Herz im Stakkato und ihre Nasenflügel blähten sich.  Viel zu hoch, viel zu hoch , wiederholte sie in ihrem Geist.  Wir sind hier auf dem verdammten Mount Everest!  
         Sie trat ein paar Schritte weg vom Fenster, so dass sie nur noch ihr eigenes Spiegelbild sehen konnte und ihr ein Blick auf die gähnende Tiefe erspart blieb. Sie hörte gedämpfte Schritte hinter der Tür, wie Schuhe auf einem dicken Wollteppich und im nächsten Moment nahm sie auch den Riegel wahr, der von innen zurückgelegt wurde. Joe öffnete die Tür, mit einem so unverschämten Grinsen, dass Kyra für einen Moment verlegen wurde. Der reflektierende Schein seines silbernen Siegelrings am rechten Mittelfinder blendete sie. Er bat sie mit einer höflichen Geste hinein und sie war sich sicher, einen Anflug von

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