Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
nun nicht im Entferntesten mehr hübsch und erhaben aus. Zwar steckte sie von Kopf bis Fuß in einem seidenen, pfauenblauen Gewand von atemberaubender Schönheit, auf dessen fließender Oberfläche hunderte von phosphoreszierenden Lichtreflexen tanzten, doch der Ausdruck in ihrem Gesicht war hart, fast animalisch und hinter dem Weiß ihrer Augen brach sich ein gefährlich rotes Blitzen Bahn.
„Du!“, schrie Joe wütend und deutete mit dramatischer Geste auf Amelie, in der Hand immer noch ein Kreidestück haltend. „Du wahnsinnige Bestie! Was hast du hier verloren?“
Daniel und Seth sahen maßlos irritiert drein, während ihr Blick stetig zwischen Joe und Amelie hin und her pendelte. Daniel konnte sich nicht erinnern, Joe jemals in einem solchen Zustand rasender Wut gesehen zu haben, geschweige denn, Amelie mit einem dermaßen tierhaften Lächeln. Ihre einst anbetungswürdige Erscheinung verlor zunehmend an Substanz. Ihre Haare waren nicht mehr so geschmeidig und glänzend, wie man es kannte, sondern schienen innerhalb der sie umgebenden, erdrückenden Aura zu knistern. Zwischen ihren leicht geöffneten Lippen lugten die blanken, todbringenden Fangzähne hervor und verliehen ihr zusätzlich den Ausdruck eines Raubtiers, welches seine Beute in die Enge trieb.
Joe vergaß jegliche Vorsicht, vergaß alle Furcht, die er je vor Amelie verspürt hatte. Er stieß Daniel beiseite und sprang auf Amelie zu, doch sie versetzte ihm nur einen Schlag ins Gesicht und Joe flog mit einem markerschütternden Krachen gegen die Wand. Seine rechte Gesichtshälfte war komplett zerfetzt und Ströme von Blut quollen aus seinen Wunden. Er sah aus, als wäre sein Kopf soeben durch den Fleischwolf gedreht worden. Daniel verstand die Welt nicht mehr. Seth klammerte verängstigt das Buch an sich und wich rasch ein paar Schritte zurück.
„Was soll das?“, rief Daniel verwirrt. „Wo ist Michael?“
Amelie lachte. Ein hässliches, freudloses und kaltes Lachen, bei dem Daniel die Haare zu Berge standen.
„Guter, tapferer Michael“, sagte sie und fixierte Daniel mit ihren blitzenden Augen. „Er hat sich fürwahr heldenhaft geschlagen. Alle Knochen sind verbrannt und die Geister somit gebannt, doch leider konnte er die Früchte seiner Arbeit nicht mehr genießen.“
Daniel starrte sie an, mit einem ungläubigen, entsetzten Ausdruck, während Joe in einer Ecke stöhnte und sich die Hand an den Kopf hielt.
„Was hast du -?“
„Ich habe ihn getötet!“, schrie Amelie mit einem Male aufbrausend. „Natürlich habe ich das! Oder glaubst du allen Ernstes, ich würde ihn laufen lassen, jetzt, wo er die Wahrheit über mich kannte?“
„Welche Wahrheit?“
Daniel zitterte. Irgendetwas lief hier fürchterlich schief. Amelie, die unangefochtene Herrin der Vampire, die immer einen guten Kontakt zu den Jägern pflegte und stets darauf bedacht war, eine funktionierende und friedliche Koexistenz mit den Menschen zu führen, hinderte sie nun daran, das Ritual zu Samaels Vernichtung zu vollenden und stattdessen die Ausführenden zu töten. Das konnte nicht stimmen. Was war in sie gefahren?
„Die Wahrheit...“, sagte Amelie genüsslich, während sie langsam auf ihn zu schritt. „Die Wahrheit, dass ich es war, die euch alle von Anfang an manipuliert hat. Und ihr seid alle in meine Fallen getappt, einer nach dem anderen und habt genau das getan, was ich von euch erwartet habe. Und das hat euch heute schließlich hierher geführt. Doch leider muss ich euch sagen, dass euer Vorhaben nicht gelingen wird. Samael ist nicht mehr fern. Und auch Marius und Kyra sind auf dem Weg hierher. Ihr sitzt in der Falle.“
Mit einer blitzschnellen Handbewegung schnappte sie Seth das Buch aus den Händen und schlug ihm hart gegen die Brust. Er wurde rücklings gegen die Mauern geschleudert und brach ächzend zusammen. Daniel schoss der Zorn in den Kopf und er wollte auf Amelie los stürmen, doch die packte ihn nur am Hals und hob ihn in die Luft.
„Glaubst du, du kannst mich herausfordern?“, zischte sie unbarmherzig. „Mich? Die Lilie des letzten und mächtigsten Ältesten?“
Daniel würgte und bekam kaum noch Luft, als sie ihn endlich los ließ und er matt zu Boden fiel. Er hustete und keuchte, doch Amelie störte sich nicht daran.
„Ich habe zu lange gewartet!“, fauchte sie. „Ihr werdet
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