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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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wie sollte er sie dann je kennenlernen? Diese Frage überraschte ihn. Warum sollte er sich wünschen, sie kennenzulernen? Mit einem Schulterzucken schob er den Gedanken beiseite und ging zum Parkhaus. Er wollte nach Hause, um in der Flasche Trost zu suchen.
    Er schwor sich, ganz besonders vorsichtig zu sein. Und folgte ihr die ganze restliche Woche, in der Hoffnung, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnern würde. Er weigerte sich, Spekulationen darüber anzustellen, warum er sie weiterhin beobachtete. Wollte seine Motive und Gründe gar nicht erst erfahren. Er wusste nur, dass sie seinen Nachmittagen einen Sinn verlieh. Ihr Anblick erfreute ihn, ihr Gang, ihre Angewohnheit, sich ab und zu leicht ans Haar zu fassen und dabei den Kopf zur Seite zu neigen.
    Am Freitag wusste er, dass er sie bis zum Montag nicht mehr sehen würde. Er ging größere Risiken ein, verringerte den Abstand zu ihr. Dann zog er sich zurück, befürchtete eine weitere Begegnung. Sehnte eine solche Begegnung aber zugleich herbei.
    Von der zweiten Ebene aus sah er sie unten aus Miss Emily’s Styles kommen. Auf die Entfernung wirkte sie elend, einsam, verlassen. Ungeheures Mitleid stieg in ihm auf. Ich habe gesagt, sie hätte mir den Schlüssel gegeben , hatte Harry Flowers gesagt.
    Er betrat die Rolltreppe und schwebte abwärts. Kurz bevor er an der untersten Stufe von der Rolltreppe steigen wollte, schaute er auf und sah das Mädchen am anderen Ende der Halle. Sie sah unsicher aus, als wüsste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Und mehr als unsicher – traurig.
    An dieser Stelle stolperte er und fiel hin. Eigentlich war es gar kein Stolpern. Sein kaputtes Knie, das ihn nicht Basketball spielen ließ, gab plötzlich unter ihm nach, als er von der Rolltreppe stieg. Das Knie wie hohl, und die weitergleitende Stufe schleuderte ihn nach vorn. Schließlich stürzte er, wie aus großer Höhe. Seine Nase streifte über den Kachelboden, durch den Ellbogen zuckte der Schmerz, als er damit aufprallte. Gedemütigt lag er auf dem Fußboden und fragte sich, ob er sich die Nase gebrochen hatte. Sein Arm schmerzte, als er ihn hob und mit den Fingern die Nase betastete – war sie gebrochen, blutete sie? Erleichtert stellte er fest, dass es kein Blut gab. Voll Abscheu vor sich selbst hob er jedoch nicht den Kopf, wollte nicht aufschauen, wollte niemanden sehen, schon gar nicht das Mädchen.
    Eine Menschenmenge sammelte sich um ihn, Füße schlurften, er hörte Gemurmel und eine helle Kinderstimme, die sagte: »Hindefallen.« Kein Blut, Nase intakt. Er machte die Augen auf und sah den kleinen Wald aus Beinen um sich herum, begann zu protestieren, murmelte: »Schon gut, ich bin okay, hab nur manchmal Probleme mit meinem Knie.«
    Langsam, Stück für Stück, rappelte er sich auf. Seine Nase war taub. Prüfend berührte er sie mit der Hand, immer noch kein Blut, im Ellbogen immer noch ein dröhnender Schmerz. Verlegen, mit rotem Kopf, versuchte er die Gesichter ringsum zu ignorieren, manche mitleidig, andere amüsiert, alte Menschen, junge Menschen. Erstaunt darüber, wie groß der Auflauf war, schaute er zu der Stelle, wo er das Mädchen gesehen hatte. Sie war fort. Erleichtert atmete er auf. Vielleicht hatte sie es gar nicht mit angesehen, wie er so kläglich hingeknallt war. Vielleicht hatte sie sich schon abgewandt, bevor er zu Boden ging.
    »Alles in Ordnung?« Eine Sicherheitsbeamtin in Polizeiuniform musterte ihn mit gerunzelter Stirn, zugleich scheuchte sie die kleine Menschenansammlung fort.
    »Aber ja«, sagte Buddy. »Ich habe nur manchmal Probleme mit meinem Knie.« Die Worte hallten in seinem Kopf wider, als hätte er sie in den letzten Minuten tausendfach wiederholt. Vielleicht hatte er das ja auch. »Mir geht’s gut«, versicherte er der Frau, wollte nichts als weg. Während er noch sprach, ging er auch tatsächlich schon weg, aber vorsichtig, wollte nicht noch mal hinfallen, zum zweiten Mal innerhalb von drei Minuten.
    Plötzlich brauchte er dringend frische Luft und er folgte diesem Verlangen. Heilfroh darüber, dass sein Knie sich wieder eingerenkt hatte und er kaum hinkte, ging er auf den nächsten Ausgang zu, spürte dabei, wie die Augen der Menschenmenge an der Rolltreppe ihm folgten. Draußen auf dem Bürgersteig war die Luft angenehm erfrischend. Buddy atmete kräftig durch und rieb sich dabei den Ellbogen, als könnte er den Schmerz damit wegwischen. Seine Nase war immer noch taub, fühlte sich aber nicht so an, als wäre sie

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