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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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gebrochen. Vorsichtig tastete er sie ab.
    »Tut es sehr weh?«
    Beim Klang der Stimme wandte er sich um und sah das Mädchen vor sich stehen, Jane Jerome, mit gefurchter Stirn, einen liebevoll besorgten Ausdruck im Gesicht.
    Weiteres Erröten, weiteres Blut, das in seine Wangen schoss. »Ist schon wieder gut«, sagte er. »Ich hab nur manchmal Probleme mit meinem Knie.« Verdammt noch mal – wieder dieses Ich hab nur manchmal Probleme mit meinem Knie . Erneut stieg die Scham in ihm hoch. Sie hatte ihn also doch gesehen, wie er so dämlich hingeknallt war.
    »Ich bin auch mal hingefallen«, erzählte sie. »An meinem ersten Tag in der Burnside Highschool, nachdem wir hierhergezogen waren?« Am Ende des Satzes ein kleiner Schlenker nach oben, zu einem Fragezeichen, das ihren Worten einen besonderen Reiz verlieh. »Der Absatz brach ab, und da steh ich, in einer neuen Schule, und gleich als Erstes bin ich vor allen anderen hingeknallt …«
    Er rieb sich den Ellbogen, lauschte ihrer Stimme und betrachtete die Lippen, die diese Worte sprachen. Und dabei verliebte sich Buddy Walker auf der Stelle und unsterblich in Jane Jerome. An einem Freitagnachmittag im Mai, um genau vierzehn Uhr sechsundvierzig im Einkaufszentrum der Innenstadt von Wickburg.
    Sie war verknallt gewesen, hatte ihre tragischen Lieben gehabt und aus der Ferne angehimmelt, aber so etwas hatte sie noch nicht erlebt. Da war Jeremy Madison gewesen, der bei der Schüleraufführung der verkürzten Version von Grease die Hauptrolle spielte. Ihr war schwach geworden, wenn er auf dem Gang an ihr vorbeiging, und als einmal in der Schul-Cafeteria sein bloßer Arm an ihren bloßen Arm streifte, hatte ihr das furchterregendes Herzklopfen verursacht. Er war einer der Unerreichbaren gewesen, von denen es viele gegeben hatte – zum Beispiel die gesamte Football-Mannschaft der Burnside Highschool. Eines glorreichen Samstagnachmittags, als die Spieler ein Gedränge bildeten, geheimnisvoll und prächtig mit ihren Helmen, die Gesichter schweißglänzend – da war sie in unglücklicher Liebe zu ihnen allen entbrannt. Die Liebe dauerte nicht länger als die Spielzeit, löste in ihrem Körper jedoch kleine, süße Sehnsüchte aus und eine sonderbare, intime Wärme.
    Dann Timmy Kearns. Der erste und einzige Junge, mit dem sie je ein Date hatte. Inferno und Ekstase, wie der Titel von diesem alten Film. Sowohl schrecklich als auch herrlich. Sie hatte ihn wochenlang aus der Ferne verehrt, und schließlich hatte er sie ins Kino eingeladen. Süße Ekstase, den Kopf in den Wolken, atemlos, konnte sich nicht auf die Schularbeiten konzentrieren, bekam in Mathe diese grässliche Drei. Timmy Kearns hatte sich als wenig wortgewandt erwiesen, nicht schüchtern oder verlegen, sondern – offen gesagt – etwas dumm. Er hatte sich ständig an einer bestimmten Stelle am Kopf gekratzt. Hatte gekratzt und gekratzt und gekratzt. Und hatte sie so gut wie ignoriert, obwohl sie Seite an Seite im Bus saßen, sich in der Schlange an der Kasse anstellten, nebeneinander im Kino saßen. Er hatte ihr nie in die Augen gesehen. Kein einziges Mal. Und hatte sie auch nie wieder angerufen. Das war für sie über alle Maßen niederschmetternd gewesen. Nicht etwa, weil sie irgendein Verlangen danach gehabt hätte, noch einmal mit ihm auszugehen, sondern weil es schlimmer war, kein zweites Mal um ein Date gebeten zu werden, als überhaupt keins zu haben. Irgendwie war das so, als hätte man jämmerlich versagt. Patti und Leslie waren voller Anteilnahme gewesen – das war noch damals zu der Zeit, bevor durch die Verwüstung alles anders geworden war –, aber sie hatte sich trotzdem geschämt, vor allem als Timmy Kearns, der sie wochenlang mit bewundernden Blicken bedacht hatte, sie nun völlig zu ignorieren begann, einmal sogar bei einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht, als sie beide gleichzeitig ihr Essenstablett in die Cafeteria trugen und praktisch die ganze Schule zusah.
    Diese Sache – sie hatte noch keine Bezeichnung dafür gefunden – mit Buddy Walker war also nicht zu vergleichen mit den sonstigen Fällen, wenn sie ihr Herz verloren hatte. Es kam ihr auch gar nicht so vor, als hätte sie ihr Herz verloren; eher hatte sie es jetzt endlich gefunden. Es war, als hätte sie bis jetzt gar nicht gewusst, dass sie ein Herz hatte, jedenfalls nicht diese Art von Herz. Am Anfang war es Anteilnahme gewesen – sie hatte seine Verlegenheit mitempfunden, als er unten an der Rolltreppe hingefallen

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