Unheimliche Begegnungen (German Edition)
schon drin.“ Vinc deutete auf die Stirn.
„Ach nee. Dann sag sie mal“, forderte Tom zweifelnd Vinc auf.
Als er es tat und Zubla zustimmend nickte, sagte Tom nur noch anerkennend, aber mit einem ironischen Ton: „Nicht jeder ist ein Genie.“
„Aber meist in seinem Fach. Du kannst mit verbundenen Augen erkennen, welche Sorte Schokolade du isst.“ Diese Anmerkung erheiterte die kleine Gesellschaft etwas.
Des Ernstes ihrer Lage bewusst, machten sie sich nun Gedanken, wie Vinc den Sprung wagen könnte. Am meisten Kopfzerbrechen machte ihnen, wie er an den Rand gelangen konnte, um seinen Sprung zu berechnen und um den Transportkorb anzuvisieren. Das abbröckelnde Gestein ließ auf keinen Fall ein Verweilen am Rand zu.
„Ich muss einfach einen Anlauf machen und kurz vor dem Rand abspringen.“ Vinc war es nicht wohl bei seiner Äußerung.
Sie verharrten lange Zeit schweigend nebeneinander. Niemand wollte den Abschied, doch jeder wusste, er würde so oder so kommen. Entweder der Abschied nur von einem, nämlich von Vinc oder der von allen, von sich untereinander. Keiner sehnte sich mehr nach einer anderen Lösung als Vanessa.
„Die magischen Winde“, unterbrach Zubla das Schweigen.
„Wo?“, fragte Tom aufgeregt.
„Sie könnten doch auch hierher kommen, und was machen wir dann?“, fragte Zubla. Er sah, wie seine Worte Entsetzen ausgelöst hatten. Er beruhigte gleich wieder: „Sie sind nicht da. Aber sie könnten jeden Moment auftauchen. Dann könnten sie uns von der Plattform fegen.“
„Mensch, sag doch gleich am Anfang: Sie könnten.“ Toms Stimme klang, als habe er soeben in größter Lebensgefahr geschwebt.
„Ich bin kein Mensch. Ich bin ein Gnom“, sagte Zubla
„Wenn du mich noch mal so erschreckst, bist du das auch nicht mehr.“ Tom versuchte beim Reden sein Organ in Gewalt zu haben, aber es klang eher nach Piepsen.
„Zubla hat recht. Wenn wirklich die Winde kommen, dann sind wir ganz schlimm dran. Ich glaube nicht, dass dann der Forettenjäger noch dort sein wird“, meinte Vinc. Er hatte sich zwar auch erschreckt, doch sich wieder in Gewalt gebracht.
Zublas Feststellung bewirkte nicht nur Schrecken, sie verursachte auch, dass sie sich sputeten und erkannten, dass ihr Abschied unmittelbar erfolgen und Vinc den Sprung wagen musste. Vinc gab Tom die Hand und umarmte ihn kurz. Er klopfte ihm abschließend ohne Worte auf die Schulter und drehte sich zu Zubla. Er hob ihn hoch und sagte: „Passe auf Vanessa auf.“ Er gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Zubla mochte das sonst nicht leiden, aber er hielt still, wischte mit seinem Handrücken über die Stirn. Als Vinc ihn abgesetzt hatte, führte er sie zum Mund und leckte darüber. Es war bei den Kobolden ein Beweis des Dankes und der Freundschaft.
Das Schwerste aber war für Vinc der Abschied von Vanessa. Obwohl es ihn schmerzte, von seinen Freunden Abschied zu nehmen, brach ihm fast das Herz, als er ihr in die Augen sah.
„Ich komme wieder“, sagte er, nachdem er sie fest gedrückt hatte.
„Kein Abschiedskuss?“, fragte sie etwas errötend.
„Nein“, sagte Vinc und ergänzte, als er ihre Enttäuschung sah: „Den hole ich mir noch, wenn ich wieder bei dir bin. Ein Abschiedskuss heißt vielleicht nicht mehr wiedersehen, aber kein Kuss heißt: Ich komme wieder.“ Vanessa wollte über diese ihr nicht einleuchtende Logik noch etwas sagen, als sie von Vinc hörte: „Drei Worte ersetzen alles: Ich liebe dich.“
Diese Worte hallten wie Schalmeien in Vanessas Ohren und betäubten sie mit Glückseligkeit. „Ich liebe dich auch“, sagte sie noch, doch sie erreichten nicht mehr Vinc Ohren. Er hatte sich umgedreht und lief auf den Abgrund zu.
Es folgten für Vinc die längsten Sekunden seines Lebens. Er schloss die Augen und sprang in die Tiefe.
Sie standen da, als seien sie zu Steinstatuen geworden. Sie sahen Vinc verschwinden, aber sie wagten keinen Schritt nach vorn, aus Angst, sie könnten nicht mehr den Forettenjäger an seiner Stelle harren sehen. Nach und nach kam die Beweglichkeit zurück. Sie hatten nicht bemerkt, dass Vinc durch seinen Absprung eine kleine Steinlawine ausgelöst hatte, die den Rand fast bis zu ihnen brachte.
Plötzlich vernahmen sie Geräusche, als würde ein Orkan auf sie zukommen. Sie hörten Flügel schlagen und sie bemerkten einen Luftwirbel, der sie leicht erfasste. Sie erblickten in sicherer Entfernung den Forettenjäger auf gleicher Höhe wie die Plattform und sie sahen noch etwas. Vinc stand am
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