Unheimliche Begegnungen (German Edition)
wollten.
Erst jetzt ließ sich ein Wesen am Eingang erblicken und wies die Tiere zum Rückzug an.
Er wusste nicht zu sagen, ob diese Gestalt männlich oder weiblich war. Sie trug außerordentlich weite, rote Beinkleider, die oberhalb des Knöchels zusammengebunden waren. Ob die Füße in Schuhen steckten oder ob sie unbekleidet waren, das konnte er nicht unterscheiden. Schwarz aber waren sie, das war sicher. Vom Hals ging ein Hemd bis an die Knie herab. Es wurde über den Hüften mit einem Riemen, an dem ein langes Messer in einem Heft befestigt war, zusammengehalten. Es sah aus, als ob zehn Generationen hindurch den Ahnen und Urahnen eines Malers als Arbeitskittel gedient hatte und dann noch extra durch den Schlamm eines Teiches gezogen worden sei. Hals und Gesicht waren unendlich hager und waren wohl kaum jemals mit Wasser in Berührung gekommen. Der Kopf wackelte hin und her. Unter den Tuchfetzen, die ihn bedeckten, hingen einige graue, wirre Haarsträhnen hervor.
„Guten Tag“, grüßte Vinc, „wer bist du?“
„Ich bin die Dienerin des Herrn“, antwortete sie mit würdevollem Ton.
„Wo ist der Herr?“, fragte Vinc.
„Drinnen.“
„Ist das eine Herberge? Ich sah ein Symbol“, wollte Vinc wissen.
„Nein junger Herr, aber ihr könnt Essen und Trinken. Wir beherbergen niemand, aber wir bewirten ihn. Gehet nur hinein und begrüßt meinen Herrn.“
Vinc konnte nicht nachvollziehen, wieso in so einer schmutzigen Person ein höfliches und nach der Sprache zu urteilen gebildete Person steckte.
Sie trat heraus, um Platz zu machen. Es fiel ihm nicht gleich auf, wieso sie sie nicht nach innen begleitete, um ihn anzukündigen.
Er musste sich bücken, um nicht oben anzustoßen. Einen Hausflur gab es nicht. Das Gebäude bestand nur aus den vier Umfassungsmauern und aus einem darüber liegenden Strohdach. Das Innere war durch biegsames Geäst in mehrere Abteilungen gesondert.
„Links!“, hörte er die Dienerin rufen.
Er folgte der Weisung, fand aber niemand vor.
Der Raum wurde von zwei Maueröffnungen erhellt, vor dem die Läden zurückgeschlagen waren. In der Mitte stand ein Tisch mit vier Bänken rundherum. Er war weiß gescheuert und hatte ein so sauberes Aussehen, das er sich wunderte. Nach dem Aussehen der Dienerin hätte er diese Reinlichkeit nicht erwartet. Auch die Bänke waren rein und fleckenlos.
Vinc patschte mit der Handfläche auf den Tisch. Sogleich wurde die eine Zwischenwand auseinandergeschoben und es erschien ein Mann, der nach seinem Begehr fragte.
Er trug ein Tuch um die Stirn gebunden, in dem das gleiche Zeichen eingewebt war, wie das auf der Mauer. Seine Gestalt war kräftig und der lange dunkle Vollbart, der ihm bis auf die Brust wallte, gab ihm ein imponierendes Aussehen.
„Bist du der Herbergsvater?“, fragte Vinc.
„Ja, aber ich beherberge niemand mehr“, antwortete er.
„So musst du das Symbol über dein Tor entfernen. Nur Herbergen dürfen so etwas zeigen“, riet Vinc.
„Das werde ich noch heute tun.“
Er sagte das in einem grimmigen Ton, aus dem zu vermuten war, das er böse Erfahrungen gemacht hatte.
„Ich bin auch nicht gekommen, um hier bei dir zu bleiben“, erklärte ihm Vinc. „Ich wollte mich nur ausruhen und etwas trinken.“
„Das will ich gelten lassen. Auch ein Imbiss könnt ihr haben.“ Er beugte sich zu ihm herab, um dicht an seinen Kopf zu kommen: „Verschwinde so schnell du kannst!“ Dann hob er wieder den Kopf und sagte laut: „Was möchtest du speisen?“
„Ich möchte erst etwas trinken. Was bietest du mir an?“, fragte Vinc.
„Ich habe ein selbst gebrautes Getränk. Es wird dir sicher munden.“
Er bemerkte die Unsicherheit des Mannes, aber auch die warnenden Gesten, die von seinen Händen kamen. Vor dem Bauch haltend deutete er mit dem Daumen nach hinten.
Vinc ahnte eine Gefahr und er verfluchte sich, eine Gaststätte aufgesucht zu haben, anstatt im freien schützenden Gelände zu nächtigen.
Aber wer konnte schon ahnen, dass ihn das Böse verfolgen würde. Denn, dass es hier lauerte, war ihm durch das Verhalten des Wirts klar geworden. Wenn hier drinnen etwas Außergewöhnliches war, warum hatte ihnen nicht diese Dienerin gewarnt, sondern noch ermutigt hineinzugehen. Er fragte deshalb den Wirt nach der Dienstbotin.
„Die Mägde befinden sich auf dem Feld. Ich bin allein hier.“
Vinc sah das Zwinkern mit den Wimpern und das seitliche Rollen der Augen. Wieder eine Warnung. Was mochte sich hinter den geflochtenen
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