Unheimliche Begegnungen (German Edition)
konnte, aber diese Behinderung glich seine weite Schrittspanne aus, sodass er sich schneller näherte.
Sie spürten den Luftzug, hervorgerufen durch das Niedersausen der Pranke. Sie schlug knapp neben ihnen auf den Boden. Und sie rannten weiter und weiter und weiter.
Es kam kein Entrinnen mehr, das Tor war weit, die Bestie nah.
Vanessa erkannte, wie auch Vinc, dass es keine Chance mehr gab, den Klauen auszuweichen.
Vinc schwenkte seinen Torsarok, den magischen Hammer, der ein pfeifendes Geräusch machte, das Zeichen der Abwehr. Doch dieses Biest konnte er damit nicht aufhalten. Es blieb keine Sekunde unbeweglich, sondern hob seinen starken, überdimensionalen Arm in die Höhe, um den tödlichen Schlag auszuführen.
Der Wächter könnte sie zwar töten, dagegen ihre Liebe nicht, das könnte nicht einmal der Tod. Ein Liebesschmerz überkam Vanessa, sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
Sie stand neben Vinc, sie wechselte ihre Waffe in die linke Hand und nahm mit der rechten seine linke und drückte sie fest. Er erwiderte den Druck.
Wieder geschah etwas Seltsames. Das Tier drehte sich um und trollte davon.
„Verstehst du das?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
Er schüttelte nur den Kopf.
Was sie jetzt noch nicht wissen konnten, würden sie später einmal erfahren.
Sie erreichten ungehindert die ersehnte Pforte, die vermutlich in die Kapelle führte und mutmaßlich zurück auf die begehrte helle Seite. Nur fragten sie sich wieder, warum wurden sie auf der dunklen bösen Seite abgesetzt?
„Ich weiß nicht“, sagte Vanessa, als Vinc eine Tür quietschend öffnete, „zur dunklen Seite brauchten wir nicht so eine schwere eiserne Pforte öffnen. Wir hatten überhaupt nichts geöffnet. Wir waren plötzlich dort.“
Vinc nickte. „Du magst recht haben, aber vielleicht ist der Durchlass von der dunklen Seite her anders. Wir können nur hier hinein, oder siehst du eine andere Möglichkeit? Wenigstens sind wir hier erst einmal vor dem Wächter sicher. Das andere wird sich zeigen.“
„Der Wächter aber war doch tot. Wieso ist hier wieder einer? Der sah noch schlimmer aus, als das andere Monster?“, fragte Vanessa.
„Kannst du dich an die Worte von Serius erinnern? Auf der dunklen Seite würde auch der König der Monster wohnen. Vielleicht war es dieser König“, gab Vinc als Überlegung.
Diese Worte konnten Vanessa nicht beruhigen.
Er bemerkte ihre Zweifel und meinte: „Schlimmer als das, was wir bisher erlebt hatten, kann es kaum kommen.“
Vinc wusste noch nicht, wie er sich da irrte.
Sie betraten zunächst einen mit Fackeln ausgeleuchteten Gang, der aussah wie der, den sie einst von der Kapelle herkommend gegangen waren.
Sie liefen schon geraume Zeit, doch er mochte nicht enden. Es schien, als würden sie auf der Stelle treten, aber das kam wohl wegen der weiten Sicht und der gleichmäßigen angebrachten Beleuchtungen. Auch die Wände wiesen keine Unterschiede auf, sondern hatten eine einheitliche Farbfläche, was auch einen erheblichen Teil dazu beitrug. Schwarz, die Farbe der Trauer, aber auch die des Bösen, eine eigenartige Färbung für Wände.
„Wir gehen am besten zurück und suchen einen anderen Weg. Das ist nicht der Gang zur Kapelle“, meinte Vanessa. Es wurde immer kälter, wobei es nicht nur am körperlichen, sondern auch am nervlichen Empfinden lag. Die schwarzen Wände, der nicht endende Gang und das unstete Licht, verursachten eine innere Unruhe, die zuweilen eine Gänsehaut über ihre Körper laufenließ. Vanessa sehnte sich nach Ruhe und Geborgenheit. Nur kurz ausspannen und an nichts denken. Die Monster, die Geister, alles Übernatürliche vergessen, danach war ihr Sinn.
Vinc stellte sich vor sie, fasste sie an den Schultern und drehte sie sachte um.
„Siehst du? Wir können nicht mehr zurück. Hier geschehen merkwürdige Dinge.“ Er deutete auf eine Wand, die sich knapp hinter ihnen aufgebaut hatte.
„Das kann doch nicht sein. Was geschieht auf Arganon? Sind wir noch auf der dunklen Seite? Sind wir noch in den Fängen des Bösen?“, fragte sie erschrocken.
„Das werden wir wohl erst erfahren, wenn wir diesen verfluchten Gang hinter uns haben.“ Vinc war unbewusst diese Verwünschung herausgerutscht. Er vermied es für gewöhnlich.
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als diesem Gang zu folgen.
Endlich sahen sie eine steinerne Treppe nach oben führen.
„Wenigstens hat der ein Ende“, meinte sie und setzte sich etwas erschöpft auf die untere Stufe, sprang aber
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