Unheimliche Begegnungen (German Edition)
es warm ums Herz.
„Ja!“ Er sah zu ihr. „Ich erinnere mich.“ Ihn überkam ein sehnsüchtiges Lächeln. Seine Augen leuchteten. „Das war auf Erden, im Kindergarten. Ich sehe dich noch jetzt vor mir. Deine gewellten blonden Haare, bis zur Schulter reichend, dein Stupsnäschen, dein kirschroter Mund und deine schönen blauen Augen.“ Er zog sie zu sich und küsste sie.
Er spürte ihre Zunge mit der seinen tänzeln. Sie konnte den Mund nicht weit genug öffnen. Sie wollte sogar seine Lippen in sich ziehen und sie war bereit, sogar noch weiter zu gehen.
Doch plötzlich ertönte ein knurrender Laut.
Vanessa, noch voller Seligkeit darüber, ihren Liebling wieder zu haben, denn das war der wirkliche, nur er konnte so voller Liebe zu ihr sein und nur er konnte von ihrem ersten Stelldichein wissen, bemerkte gar nicht, dass er sich umgedreht hatte und den inzwischen schrill gewordenen Tönen lauschte. Als er nichts mehr vernahm, wendete er sich ihr wieder zu.
„Das hätten wir schon damals machen sollen“, sagte er.
„Was?“, fragte sie interessiert, aber dennoch ahnend, was er meinte.
„Uns auf den Mund küssen und nicht nur auf die Wange.“
Sie lächelte: „Damals waren wir noch naiv und unschuldig.“
„Das sind wir doch heute noch. Oder?“ Er zwinkerte dabei mit dem Augenlid.
„Unschuldig?“, fragte Vanessa und zwinkerte ebenfalls.
Wieder ein Jaulen. Diesmal hörte es auch sie.
„Der Wächter zum Tor der Dunkelheit. Ich glaubte, der wäre tot!“, rief Vinc und zog sie hinter einen schützenden Fels. „Anscheinend haben sie einen Neuen eingesetzt.“
Von dem Wächter war nirgends etwas zu sehen.
Während Vinc die Gegend mit den Augen abtastete, dachte Vanessa über seine wundersame Wandlung nach. Wieso hatte er sich von einem Augenblick in den anderen, von einem eiskalten Menschen in einen liebevollen gewandelt?
Sie konnte nicht weiter nachdenken, denn sie sah wie auch Vinc mit Entsetzen, dass über dem Felsen ein affenähnlicher Kopf auftauchte.
Sie ahnten, dass es der Wächter war. Sie konnten nur erraten, was das für ein Monster sein musste, wenn er noch einen Kopf größer war, als der Fels, hinter dem sie vertrauensvoll Schutz gesucht hatten. Er musste noch größer und grauenvoller sein, als der, der im Wald verbrannt war.
Vinc Gehirn arbeitete auf Hochtouren und seine Gedanken purzelten durcheinander wie ein Puzzlespiel, das er vorher mit viel Mühe zusammengefügt hatte. So gingen auch nur Gedankenfetzen durch den Sinn.
Scheinbar hatte sie der Wächter nicht gesehen, oder er wollte es nicht, jedenfalls tauchte er wieder ab, so konnte Vinc einige Teile in seinem Gehirn erneut ordnen.
Vinc wunderte sich weiterhin über das Auftauchen dieses Wächters, den er damals mit den nie endenden Pfeilen bekämpft hatte.
Er überlegte, wieso dieses gigantische Wesen nicht einfach den Felsen umrundete und zu ihnen kam. Er besah sich genauer das Umfeld und stellte fest, dass zwischen den steil nach oben gehenden Felswänden und ihrem kleineren Fels nur eine schmale Lücke war. Doch er konnte sich nicht lange umsehen, denn wieder tauchte der Kopf auf, aber auch ein Teil des Oberkörpers und ein paar riesige Arme, die einen gewaltigen Stein hielten.
Vinc ahnte, was das bedeuten würde, ließe ihn das Ungeheuer ihn. In ihrem beengten Versteck würden sie diesen Abwurf nicht überleben.
Er zog Vanessa am Arm mit auf die rechte Seite zu der einzig freien Lücke und lief mit ihr so schnell er konnte, auf das Tor, das vermutlich zur hellen Seite führte, zu. Die überraschende Flucht war die einzige Möglichkeit zum Überleben.
Es kam nun darauf an, wie die Passage beschaffen war, denn hierher konnten sie ungehindert herkommen, aber wie war es zurück? Musste etwa ein Hebel betätigt werden, oder würde sich das Tor von selbst öffnen? An dem Tag, als sie es passiert hatten und plötzlich auf der dunklen Seite waren, brauchten sie nur vorher über den Friedhof der Geisterkinder zu gehen, durch die Kapelle, einen schmalen Gang entlang.
Sie hörten hinter sich die plumpen, schweren Schritte des Monsters. Sie sahen seinen Schatten vor sich, geworfen von dem hellen Stern. Sie rannten und rannten und rannten.
Die Erde bebte.
Ein fürchterliches Heulen und Schreien machte ihre Ohren fast taub. Der Stein, den das Vieh wohl mitgenommen hatte, schlug knapp neben ihnen ein. Das Gewicht dieses Felsbrockens hatte das Vieh vorher lahmer gemacht, sodass es keine große Geschwindigkeit entwickeln
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