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Unnatural History

Unnatural History

Titel: Unnatural History Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Green
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andere glitt an seinem Arm hinab und um seine Taille. Vier Stockwerke über ihnen pfiff eine Überlandbahn, als sie die Luftbrücke der Albany-Street-Station erreichte.
    Kein Zweifel, sie war wunderschön – ihr athletischer, schlanker Körper, mit Kurven an den richtigen Stellen – und auf seine Hilfe angewiesen. Mehr konnte sich ein Mann von einer Lady nicht wünschen. Und dennoch durfte Ulysses sich nicht ablenken lassen. Ein anderer Teil seines Verstandes grübelte darüber nach, wo genau sich wohl ein verbrecherischer Affenmann in London verstecken würde, wenn nicht im Naturhistorischen Museum oder im Londoner Zoo? Abgesehen davon, dass die Probe, die er dem alten Griesgram Methuselah vorgelegt hatte, Anzeichen einer Verwandlung aufwies, die ähnlich den Schuppen von etwas Echsenartigem war, was die Vermutung, dass sich Professor Galapagos derselben unsagbaren Prozedur unterziehen musste, nur bestärkte. Somit war die Frage nun nicht mehr, wo sich ein Affenmann in dieser überlaufenen Hauptstadt aufhalten würde, sondern wo eine Echse ihr Versteck bauen würde – und im weiteren Sinne, wie zur Hölle Ulysses Quicksilver, Dandy und Abenteurer mit detektivischem Intellekt, dieses finden sollte?
    Die ganze Zeit über, da ein Teil von ihm darüber nachgrübelte, war der andere umgarnt von Genevièves glänzendem Blick, ihren kirschroten Lippen, dem Jasminblütenduft und ihrem warmen Atem auf seiner Wange, und sich nur allzu bewusst, wie nahe sie sich beide hier standen. Er nahm sie in die Arme, neigte seinen Kopf und lehnte ihn gegen den ihren. Ihre weichen Lippen teilten sich leicht, um die seinen zu berühren.
    Doch dann verlangte plötzlich ein weiterer unterbewusster Teil seines Gehirns, den er als seinen sechsten Sinn bezeichnete, nach seiner Aufmerksamkeit. Und dieser Teil schrie laut und deutlich: »Gefahr!«
    Das donnernde Getöse einer Explosion zerriss die friedliche Morgenstimmung. Viele der Spazierenden wurden durch die Wucht der Stoßwelle von den Füßen gerissen. Instinktiv warf sich Ulysses über Geneviève, als sie beide umgeworfen wurden. Teile verbogenen Metalls und andere Trümmer regneten auf sie nieder. Ein Mann ging mit blutendem Gesicht zu Boden, ein anderer schrie kurz auf, als ein verformter Gegenstand seinen Torso durchbohrte. Dann war er still.
    Ulysses richtete sich schnell auf, um einen Blick auf die Überlandbahn zu werfen, die den Himmel über dem Londoner Zoo durchquerte. Sein Körper war angespannt, zu allem bereit. Dicker schwarzer Rauch, durchsetzt von schmierigen, orangefarbenen Flammen, bedeckte den Himmel über dem Regent’s Park und dem mehr als zwanzig Meter hohen Netz aus Gleisen der Bakerloo-Linie. Soweit Ulysses erkennen konnte, brach mit einem ohrenbetäubenden, metallischen Kreischen der Teil eines dicken, gusseisernen Pfostens unter seinem eigenen Gewicht – und fiel. Aufgrund seiner durch das Adrenalin aufgeputschten Sinne wirkte es auf ihn, als würde das Bahngleis in Zeitlupe in einer Wolke öligen Qualms und kohlschwarzer Eisenbahnschienen auf die Menschenmenge am Besuchereingang stürzen.
    Überall schrien Menschen. Viele rannten durcheinander, in dem Versuch, der Katastrophe zu entkommen, die sich um sie herum auftat.
    Gleisstücke krachten in die Grube mit den Stegosauriern, wo sie einen Aufseher mitsamt einer in Panik geratenen Dame zerschmetterten, die er noch zu retten versucht hatte. Während weitere Trümmerstücke kontinuierlich von der verwüsteten Bakerloo-Station herabregneten, fiel die Wand des Pferches ein. 
    Ulysses hörte die Lehrerin hysterisch kreischen, in dem Versuch, ihre jammernden Schüler zu beschützen, die nun in völliger Verzweiflung bedingungslos ihren Anweisungen folgten. Tumult brach bei den wilden Tieren los. Die Pflanzenfresser tröteten, beziehungsweise heulten vor Angst. Die Fleischfresser durchschritten brüllend ihre Käfige und sogen gierig den Geruch nach Angst ein, der ihrer natürlichen Beute entströmte. Dieser moschusartige Duft weckte eine animalische Raserei in ihnen, all die panischen Tiere zu jagen – und all die verzweifelten Menschen.
    Wärter aus den anderen Teilen des Zoos zwängten sich durch hysterische Trauben von Besuchern, um denen an der vordersten Front des Desasters Hilfe zu leisten. Es sah ganz danach aus, als sei Ulysses der Einzige, der erkannte, dass es sich hier erst um den Beginn eines noch größeren Unheils handelte, und dass noch schrecklichere Katastrophen geschehen sollten. Die Bahn war

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