Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
»Natürliche« ist eine Quelle vieler Irrtümer. Ganz besonders wirkt er sich in der Medizin aus, der er auch heute noch zu schaffen macht. Gewiss vermag der menschliche Körper mancher Krankheiten auch ohne äußere Hilfe Herr zu werden. Kleinere Schnittwunden heilen ohne jedes Dazutun, Erkältungen vergehen, wie sie gekommen sind, und sogar ernsthafte Krankheiten klingen bisweilen ohne ärztliche Hilfe ab. Trotzdem sollte man der Natur auch in harmloseren Fällen medizinische Unterstützung angedeihen lassen. Nicht desinfizierte Schnittwunden führen leicht zu Blutvergiftungen, aus Erkältungen können Lungenentzündungen entstehen, und bei ernsten Erkrankungen gibt es überhaupt keine Entschuldigung für den Verzicht auf ärztlichen Beistand, es sei denn, der Patient befinde sich an einem Ort, wo ihm ein Arzt unerreichbar ist. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich ist, war früher »unnatürlich«, so das Bekleiden des Körpers und das Waschen. Wo nicht wenigstens ein gewisses Maß von Reinlichkeit herrscht, haben Seuchen wie der Typhus, der heute bei westlichen Nationen nur in Ausnahmefällen vorkommt, leichtes Spiel. Bis zum heutigen Tage wird das Impfen von manchen Menschen als etwas »Unnatürliches« angesehen. Wer so denkt, ist inkonsequent, denn in gewissen Fällen, zum Beispiel bei Knochenbrüchen, glaubt kein Mensch an die Möglichkeit einer »natürlichen« Heilung. Dass wir gekochtes Fleisch essen und unsere Häuser und Wohnungen heizen, ist im Grunde »unnatürlich«. Der chinesische Philosoph Lao-Tse, der um 600 vor Christus gelebt haben soll, betrachtete alle Straßen, Brücken und Schiffe als »widernatürlich«. Er verließ China aus Protest gegen diese technischen Erfindungen und beschloss sein Leben unter den Barbaren des Westens. Noch - jeder zivilisatorische Fortschritt galt als »unnatürlich«, solange er neu und ungewohnt war.
Auch die Empfängsnisverhütung wird vor allem deswegen abgelehnt, weil sie nach Ansicht vieler Menschen »widernatürlich« ist. (Aus unerfindlichen Gründen verstößt das Zölibat nicht gegen die Natur ich kann mir nur denken, weil es nicht neu ist.) Malthus sah nur drei Möglichkeiten zur Verhütung der Übervölkerung: moralische Enthaltsamkeit, Laster und Elend. Wie er selbst zugab, schied die Enthaltsamkeit als allgemein wirksames Mittel von vornherein aus. Das »Laster« – sprich: die Empfängnisverhütung musste ihn als Geistlichen mit Abscheu erfüllen. Blieb als einziger Weg das Elend. Aus der sicheren Geborgenheit des eigenen behaglichen Pastorats blickte er gelassen auf die notleidende Menschheit und bewies den Idealisten, die das Elend mit irgendwelchen Reformen zu lindern hofften, wie aussichtslos ihr Unterfangen sei.
Heute sind die Theologen weniger ehrlich. Sie behaupten, dass Gott niemals hungern lassen werde, auch wenn der Mäuler noch so viele wären. Dabei übersehen sie die Tatsache, dass er immer wieder Hungersnöte zugelassen hat, denen Millionen Menschenleben zum Opfer fielen. Falls sie aber wirklich glauben sollten, was sie sagen, so müssten sie der Auffassung sein, dass Gott seine Haltung künftig ändern und sich von jetzt an eine ununterbrochene Speisung der Fünftausend begeben werde. Vielleicht werden sie auch entgegnen, dass das Leben hienieden keine Rolle spiele, dass nur das Leben im Jenseits von Bedeutung sei. Wie aber lässt sich das mit ihrer theologischen Ansicht vereinbaren, dass die Mehrzahl der Kinder, denen allein ihr Widerstand gegen die Empfängnisverhütung zum Leben verhilft, ohnehin nach dem Tode in die Hölle wandern muss? Soll man annehmen, dass sie es für gut und richtig halten, wenn viele Millionen in Ewigkeit Höllenqualen erleiden müssen, und dass sie nur aus diesem Grunde eine Besserung der irdischen Lebensverhältnisse ablehnen? Ich muss ehrlich bekennen, dass mir im Vergleich zu ihnen der kühle Malthus geradezu barmherzig erscheint.
Als Gegenstand unserer leidenschaftlichsten Liebe und leidenschaftlichsten Abneigung erweckt die Frau vielfältige und zwiespältige Gefühle, die ihren Niederschlag in der Sprichwörter-»Weisheit« gefunden haben.
Fast jeder erlaubt sich zum Thema Frau sinnlose Verallgemeinerungen. Wenn verheiratete Männer zu verallgemeinern anfangen, weiß man, dass sie nach ihrer Ehehälfte urteilen. Sprechen Frauen über die Frau, so schwebt ihnen stets die eigene Person vor. Es müsste amüsant sein, eine Geschichte der männlichen Ansichten über die Frau zu
Weitere Kostenlose Bücher