Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
schreiben.
Zur Zeit des Altertums, da die Vormachtstellung des Mannes außer Frage stand und noch niemand etwas von christlicher Ethik wusste, waren die Frauen harmlose, aber ziemlich dumme Geschöpfe. Der Mann, der sie ernst nahm, durfte sich nicht wundern, mit leiser Verachtung behandelt zu werden. Noch weiter ging Plato, der gegen das Drama hauptsächlich einwandte, dass sich der Bühnenautor beim Schöpfen von Frauenrollen in die weibliche Psyche hineinversetzen müsse und sich auf diese Weise quasi mit der Frau identifiziere.
Mit dem Christentum änderte sich die Rolle der Frau: sie wurde nun die große Verführerin. Gleichzeitig aber sprach man ihr die Eignung zur Heiligen zu. Im viktorianischen Zeitalter glaubte man mehr an die Heilige als an die Versucherin, weil ein viktorianischer Mann seine Empfänglichkeit für weibliche Verführungskünste unmöglich zugeben konnte. Da die Männerwelt die Frau unter allen Umständen dem politischen Leben fernhalten wollte, machte sie sich das Argument der überlegenen weiblichen Tugend zunutze und behauptete scheinheilig, dass die rücksichtslosen Praktiken der Politik mit hehrer Tugend unvereinbar seien.
Auch die ersten Frauenrechtlerinnen operierten mit der sittlichen Überlegenheit der Frau, verständlicherweise in entgegengesetzter Richtung: sie erklärten kategorisch, dass die Frau unbedingt in die Politik eingreifen müsse, weil das ganze politische Leben durch sie ein anderes, edleres Gesicht bekommen würde. Da sich diese Auffassung inzwischen als illusorisch herausgestellt hat, hört man jetzt weniger von der moralischen Größe der Frau. Andererseits gibt es noch heute Männer, die zäh an der albernen Theorie von der Verführerin festhalten.
Die Frauen selbst sehen sich größtenteils als das mit Vernunft begabte Geschlecht, dem es obliegt, das durch die Torheiten der unüberlegten Männer angerichtete Unheil wiedergutzumachen. Ich für mein Teil misstraue allen Verallgemeinerungen über Frauen, gleichgültig ob sie aus männlichem oder weiblichem Munde kommen, ob sie schmeichelhaft oder herabsetzend, veraltet oder modern sind; denn meines Erachtens entspringen sie samt und sonders einem Mangel an Erfahrung.
Wie grundunvernünftig beide Geschlechter sich zur Frau stellen, wird in Romanen, namentlich in schlechten Romanen, ganz besonders deutlich. In einem minderwertigen Roman aus der Feder eines Mannes ist die Heldin eine Frau, in die der Autor bis über beide Ohren verliebt ist, ein mit allen Reizen des Körpers und der Seele ausgestattetes, aber etwas hilfloses und darum des männlichen Schutzes besonders bedürftiges Wesen. Bisweilen ist sie aber auch der Gegenstand verzweifelten Hasses – siehe Shakespeares Kleopatra – und das verworfenste Geschöpf, das sich denken lässt. Wenn der männliche Autor das Bild seiner Heldin entwirft, gibt er nicht Beobachtungen aus dem Leben wieder, sondern er vergegenständlicht, was er persönlich fühlt und empfindet. Bei seinen übrigen weiblichen Gestalten ist er schon objektiver, und manchmal hat man sogar den Eindruck von wirklichkeitsnahen Charakteren. Aber sobald er sich in eine seiner Figuren verliebt, nimmt ihm der aus seiner Leidenschaft aufsteigende Nebel die klare Sicht. Auch bei weiblichen Schriftstellern begegnet man zwei Sorten Frauen. Die eine – bezaubernd und voller Güte, Gegenstand verwerflicher Lust und reiner Liebe, zart besaitet, hochherzig und stets falsch beurteilt – entspricht der Vorstellung, die die Autorin von sich selbst hat. Die andere ist der von allen übrigen Frauen repräsentierte Typ, der als kleinlich, hämisch, grausam und hinterhältig geschildert wird. Offenbar ist es für beide Teile – Mann und Frau – nicht so einfach, sich ohne Vorurteil über das weibliche Geschlecht zu äußern.
Verallgemeinerungen über nationale Charaktereigenschaften sind genau so häufig und so ungerechtfertigt wie Verallgemeinerungen über die Frau.
Bis 1870 galten die Deutschen als eine Nation bebrillter Professoren, die in ihrer eigenen inneren Welt lebten und für äußere Dinge kaum einen Blick hatten. Seit der Reichsgründung hat man diese Ansicht erheblich revidieren müssen. Die meisten Angehörigen anderer Nationen sind noch heute der Meinung, dass die Franzosen ununterbrochen in Liebesaffären verstrickt seien. Wenn sie dann Gelegenheit haben, sich an Ort und Stelle umzusehen, sind sie erstaunt und womöglich enttäuscht über die Intensität des französischen Familienlebens.
Vor
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