Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Dichters aus dem ersten Weltkrieg so schön heißt:
Gott strafe England, und God save the King.
Gott dies und das – »Du lieber Gott«, sprach Gott,
»um Arbeit braucht mir nun nicht bange sein!«
Der Glaube an eine göttliche Sendung ist eine der vielen vermeintlichen Gewissheiten, die dem Menschengeschlecht geschadet haben. Ich glaube, eins der weisesten Worte, die jemals gesprochen wurden, war die Mahnung Cromwells an die Schotten vor der Schlacht von Dunbar: »Ich beschwöre euch um Christi Barmherzigkeit willen, denkt daran, dass ihr Unrecht haben könntet!« Aber die Schotten dachten nicht daran, und so musste er sie im Kampf besiegen. Schade dass Cromwell diese Mahnung nie an sich selbst richtete. Die meisten und schlimmsten Übel, die der Mensch dem Menschen zugefügt hat, entsprangen dem felsenfesten Glauben an die Richtigkeit falscher Überzeugungen. Die Wahrheit zu kennen ist schwieriger als die meisten glauben, und mit rücksichtsloser Entschlossenheit zu handeln, in dem Glauben, man habe die Wahrheit in Erbpacht, heißt Unheil heraufbeschwören. Lange Überlegungen, dass man gegenwärtige sichere Leiden zufügen müsse, um eines zweifelhaften zukünftigen Vorteils teilhaftig zu werden, sind stets mit Argwohn zu betrachten, denn, wie Shakespeare sagt, »Das Kommende ist noch ungewiss«. Selbst der Klügste geht weit irre, wenn er auch nur auf zehn Jahre die Zukunft vorhersagen will. Gewisse Leute werden diese Lehre für unmoralisch halten, aber schließlich heißt es auch im Evangelium: »Seid nicht ängstlich besorgt für den morgigen Tag.«
Im öffentlichen wie im Privatleben kommt es auf Toleranz und Freundlichkeit an, nicht aber auf die Anmaßung einer übermenschlichen Gabe, in die Zukunft zu schauen.
Statt diesen Aufsatz »Ideen, die der Menschheit geschadet haben« zu betiteln, hätte ich ihn vielleicht einfach »Ideen haben der Menschheit geschadet« überschreiben können, denn da wir nun einmal die Zukunft nicht vorhersagen können und unzählige verschiedene Ansichten darüber denkbar sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgend ein von irgend jemand gehegter Glaube wahr sein könne, sehr gering. Was immer wir in zehn Jahren für wahrscheinlich halten – abgesehen von Dingen wie dem morgigen Sonnenaufgang, die nichts mit den Beziehungen der Menschen untereinander zu tun haben – es wird fast mit Sicherheit falsch sein. Ich finde diesen Gedanken tröstlich, wenn ich an gewisse düstere Prophezeiungen denke, deren ich selbst mich voreilig schuldig gemacht habe.
Aber man wird mir einwenden: Wie anders ist denn eine Staatskunst möglich, wenn nicht unter der Voraussetzung, dass sich die Zukunft bis zu einem gewissen Grad vorhersagen lässt? Ich räume gern ein, dass eine gewisse Voraussicht notwendig ist, und will nicht sagen, dass wir völlig im Dunklen tappen. Es ist eine ziemlich sichere Prophezeiung, dass ein Mensch, den ich einen Schurken und Narren heiße, mich nicht gerade lieben wird, und dass siebzig Millionen Menschen es ebenso wenig tun werden, wenn ich ihnen dasselbe sage. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass ein Wettbewerb im Halsabschneiden unter den Wettbewerbern nicht das Gefühl guter Kameradschaft wird aufkommen lassen. Es ist sehr wahrscheinlich, wenn zwei Staaten einander an einer Grenze modern gerüstet gegenüberstehen und ihre führenden Staatsmänner sich in gegenseitigen Beschimpfungen ergehen, dass die Völker auf beiden Seiten mit der Zeit unruhig werden, und die eine Seite zum Angriff übergehen wird, aus Angst, die andere könne ihr zuvorkommen. Man kann auch mit Sicherheit annehmen, dass ein großer moderner Krieg nicht einmal den Wohlstand der Sieger heben wird. Solche Verallgemeinerungen sind nicht schwer einzusehen. Schwierig ist es, die Folgen einer bestimmten Politik auf lange Sicht in allen Einzelheiten vorauszusehen. Bismarck gewann durch äußersten Scharfsinn drei Kriege und einigte Deutschland. Das Ergebnis seiner Politik auf lange Sicht war, dass Deutschland zwei vernichtende Niederlagen hinnehmen musste. Diese sind darauf zurückzuführen, dass Bismarck die Deutschen lehrte, die Interessen aller Völker mit Ausnahme Deutschlands zu missachten, und einen Angriffsgeist heraufbeschwor, der schließlich die Welt gegen seine Nachfolger zusammenschloss. Übertriebene Selbstsucht, sei es des Einzelnen oder eines Volkes, ist unklug. Sie mag sich mit Glück durchsetzen, schlägt sie aber fehl, so ist der Fehlschlag fürchterlich. Wenige werden
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