Unschuldig
Fläschchen mit den restlichen Tropfen. Er war bestens vorbereitet, fühlte den Stoff der Jeans an seinen Beinen, spürte die Spannung in seinem Körper, und ein Schauer der Erregung durchfuhr ihn.
Möller saß ahnungslos am Steuer und lenkte seinen Mercedes den Ku’damm hinunter. Als wäre ihm die plötzliche Einsilbigkeit des Caterers unangenehm, plauderte er munter drauflos. »Also, jetzt rück schon raus mit deiner Idee. Wer weiß, vielleicht steckt in dir tatsächlich ein Erfolgsautor? Du passt ja auch super ins Team.«
»Ja, ich war schon bei vielen Dreharbeiten dabei«, erwiderte er. Jetzt sollten die Tropfen langsam mal zu wirken beginnen. »Aber es ist total wichtig, dass du dir erst mal die Location ansiehst. Dann kannst du dir das alles gleich viel besser vorstellen.«
Möller antwortete nicht. Auf seiner Stirn hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Er bog in der Rognitzstraße ab und hielt sich scharf rechts zur Auffahrt auf die A100 in Richtung Wannsee, als er plötzlich an den Rand fuhr und anhielt.
»Was ist?«, fragte er lauernd.
»Keine Ahnung. Mir ist irgendwie schwindlig«, erklärte Möller benommen. Hinter ihnen hupten bereits einige Autofahrer.
»Warte, ich kann fahren, bis dir wieder besser ist. Rutsch rüber. « Während Möller folgsam auf den Beifahrersitz rutschte, lief er um das Auto herum und setzte sich hinter das Steuer.
Endlich, endlich war er so weit, den letzten Schritt zu tun. Möller musste sterben, auch er musste das Schmerzenslied der Sühne singen. Obwohl das nicht ganz einfach werden würde, denn er war ein kräftiger Kerl, hatte jahrelang irgendeinen Kampfsport betrieben und war mit Sicherheit nicht so leicht zu Fall zu bringen wie die anderen. Gut, dass er eine ordentliche Dosis der Tropfen intus hatte und schon ziemlich angeschlagen war.
Im Polizeibericht damals war von einem Unglücksfall die Rede gewesen, aber er wusste, dass das nicht stimmte. Er wurde unaufhaltsam von der Schwerkraft der Schuld zur Ausführung seines Planes gezogen. Viel war geschehen, und er war stolz, dass es niemand mehr rückgängig machen konnte. Er würde alles zur Vollendung bringen. Das Verbrechen sühnen, Gerechtigkeit schaffen. Auge um Auge. Alles war ihm logisch erschienen, notwendig und gerecht. Sein Plan hatte den Vorteil, dass er nach jedem Schritt feststellen konnte: Gut, es ist alles gut. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden. Bald könnte er, befreit von den Gespenstern der Vergangenheit, mit Fabian fortgehen und ein neues Leben beginnen.
Er wusste, dass es für Möller direkt nach dem Studium nicht so toll gelaufen war. Er hatte Probleme gehabt, Aufträge an Land zu ziehen, und schlug sich mehr schlecht als recht von einem Job zum nächsten durch. Den künstlerischen Durchbruch hatte er nicht geschafft, jedenfalls nicht bis heute. Einigermaßen wahllos nahm er alles an, was an Anfragen reinkam. Dadurch hatte er auch in Krisenzeiten immer genug zu tun. Dazu kam, dass er es verstand, gut mit den vorgegebenen Drehzeiten und den Budgets auszukommen, was ihm trotz der gegenwärtigen Flaute in der Medienlandschaft zahlreiche Aufträge bescherte. Bislang hatte er allerdings keine bedeutenden Filmpreise gewonnen. Er galt als Pragmatiker, nicht als Künstler. Das war natürlich keine Schande, aber für den eitlen Regisseur sicher ein Problem.
Möller riss sich zusammen und versuchte, weiter Konversation zu machen. Mit schwerer Zunge monologisierte er übers Filmemachen. Er schmunzelte. Jeder aus dem Filmbusiness behauptete immer wieder, es gebe nichts Schlimmeres als die Fernsehbranche. So auch der Regisseur. Die Intrigen. Die schlechten Honorare. Die systematische Verhinderung der Kreativität. Unbezahlte Überstunden. Quoten-Geilheit statt Qualitätsverbesserung und so weiter und so weiter. Jammern auf hohem Niveau.
»Immer weniger Geld für immer mehr Arbeit«, beschwerte Möller sich. »Statt in siebenundzwanzig Drehtagen muss ich heute einen Neunziger in einundzwanzig Tagen runterholzen.«
Er hörte erst wieder richtig hin, als der Regisseur nur noch halb verständlich nuschelte: »Halt mal bitte da vorne an, ich glaube, ich muss kotzen.«
Das entsprach allerdings überhaupt nicht seinem Plan, er wollte Möller auf keinen Fall an der nächsten Kreuzung rauslassen.
»Mach doch das Fenster auf und atme tief durch. Wir sind gleich an dem Ort, den ich dir zeigen will. Es ist ein Bootshaus«, sagte er, als er schon fast an der Moorlake
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