Unschuldig
beschreiben?«
»Sehr gut. Ein junger Kerl, siebenundzwanzig oder achtundzwanzig, er hat braunes Haar. Manchmal trägt er einen Pferdeschwanz. «
»Haben Sie seine Handynummer?«
»Wieso? Nein, die habe ich nicht.«
»Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»Nein, doch, er wohnt ja wieder bei seiner Mutter in Moabit. In der Levetzowstraße 139.«
»Wissen Sie vielleicht, ob Ihr Sohn ihn gestern Abend getroffen hat?«
»Nein, das weiß ich nicht. Sie haben sich natürlich oft gesehen, sie sind ja ein Paar. Aber gestern? Wahrscheinlich auch gestern. Felix dreht doch gerade einen Film, da hilft Benny ihm oft beim Textlernen. – Kann ich ihn sehen?«
»Wen, Felix?«
»Ja, ich will meinen Sohn sehen.« Sie blickte Paula ernst an.
»Im Moment geht das leider noch nicht. Er ist in der Gerichtsmedizin«, sagte Paula.
»Aber warum denn das?«
»Die genaue Todesursache steht noch nicht fest.«
Frau Kleist sah sie ungläubig an. Ihr Gesicht war kreideweiß.
»Soll ich jemanden für Sie anrufen?«
»Ich weiß nicht«, schluchzte sie. »Meine Schwester, bitte rufen Sie meine Schwester an.«
Paula schaltete ihr Handy ein und wandte sich wieder Frau Kleist zu: »Wo ist Ihre Schwester denn jetzt erreichbar?«
»Zu Hause. Oder einkaufen. Weiß ich nicht. Meine Güte, was wollte sie mir noch mitbringen? Nein, heute ist doch Sonntag, sie will erst morgen in die Stadt. Ich bin ja ganz durcheinander.« Hilflos stand sie auf und suchte ein neues Taschentuch. Dabei bemerkte sie die Pfanne mit den Fleischspießchen.
»Oh Gott, die sind jetzt bestimmt schwarz!«, rief sie, nahm die Pfanne von der Herdplatte und riss dabei das Glas mit den Spreewaldgurken um, die es wohl dazu geben sollte. Es zersplitterte auf dem Boden, aber Frau Kleist kümmerte sich nicht darum. Sie drehte die Spieße um, hielt dann mitten in der Bewegung inne und begann erneut zu weinen. »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle, ob die verbrannt sind oder nicht?«
Paula bückte sich, sammelte vorsichtig die Scherben zusammen und warf sie in einen Mülleimer. Dann verabschiedete sie sich von Frau Kleist, die inzwischen ins Wohnzimmer gegangen war und den Telefonhörer in der Hand hielt. Im Flur legte sie ihre Visitenkarte auf den Schuhschrank. Als sie die Wohnungstür öffnete, hörte sie Frau Kleists vor Kummer brüchige Stimme. Offensichtlich hatte sie ihre Schwester erreicht. »Ich bin’s, Helga«, sagte sie. »Ich brauche dich.«
Leise zog Paula die Tür hinter sich zu.
18
D raußen ging Paula trotz des anhaltenden Nieselregens ein paarmal um den Block, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste die Begegnung mit Frau Kleist erst noch verdauen. Dann rief sie Tommi an. »Wie weit bist du?«
»Ich werte Informationen der Kellner aus der Paris Bar aus und schreibe gerade einen Bericht.«
»Sehr gut.«
»Wer schreibt, bleibt. Aber warum rufst du an?«
»Könntest du mich in die Wohnung von Ben Bauer begleiten?«
»Wer ist das?«
»Bauer ist der feste Freund von Kleist und möglicherweise sein Begleiter von gestern Abend.«
»Klar, da gehen wir zu zweit hin. Bin schon unterwegs. Wo genau bist du?«
Paula gab ihm ihren Standort durch. Während sie auf ihn wartete, bestellte sie in einem Straßencafé einen Milchkaffee und ein Stück Käsekuchen. Zum Glück brachte Tommi nicht nur wie gewohnt gute Laune, sondern auch Neuigkeiten mit. Marius hatte in Befragungen der Assistenten Giftel und Gockel herausgefunden, wann und wie oft und worüber Lea Buckow sich mit ihrem Mann gestritten hatte. Leas Assistenten waren ihrer Chefin treu ergeben und konnten sich an so viele Details erinnern, dass es den Anschein hatte, sie hätten Buch darüber geführt. Immer war es ums Geld gegangen. Lea hatte ihrem Mann vorgeworfen, er gebe zu viel aus, und er hatte ihr vorgehalten, sie habe keine strategische Ausrichtung der Produktionsfirma, sie wähle die falschen Stoffe und unfähige Mitarbeiter aus. Außerdem hatten die beiden Assistenten zu Protokoll gegeben, seit seinem Burn-out habe Buckow jedes unnötige Autofahren kategorisch abgelehnt. »Und über Kleist, was habt ihr da?«, fragte sie.
»Die Kollegen sitzen erst seit einer Stunde dran, bitte noch Geduld. Bis zur Besprechung haben sie sicher einiges zusammen.«
»Ja, entschuldige. Ich weiß«, sagte Paula. Nach der traurigen Begegnung mit der Mutter des Toten fühlte sie sich noch immer niedergeschlagen.
Die Levetzow war eine laute und viel befahrene Straße, gesäumt von riesigen
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