Unschuldig
Edo, aus dem Königreich Benin in Westafrika und weit über hundert Jahre alt. Wenn ein Mann starb, musste sein ältester Sohn so eine Rassel für den Ahnenaltar anfertigen lassen, um mit dem Geist des verstorbenen Vaters Kontakt aufnehmen zu können.«
Paula war damit allerdings überhaupt nicht zu beeindrucken und zählte laut die Kartons. Es waren vierunddreißig. Plus diverse extra eingepackte oder in Plastik eingeschweißte Gegenstände.
»Das ist doch alles von ganz einzigartiger, primitiver Schönheit. Naive Kunst vom Feinsten. Da, diese Masken! Die weiße ist von den Vuvi in Gabun, weiß steht für den Tod, aber ihr Gesichtsausdruck ist versöhnlich und friedlich, wie der Geist, den sie verkörpert. Oder dieser sitzende Knabe von den Baoulé von der Elfenbeinküste. Er hält seinen Kopf, dessen Oberteil als Deckel für den Hohlraum darunter dient. Darin hat man Tabak aufbewahrt.«
»Ich sage dir mal was, der Hohlkopf bist du, wenn du glaubst, dass all diese Scheußlichkeiten in unserer Wohnung stehen werden! Das müssen ja an die fünfzig Exponate sein.« Paula lachte schrill auf, als sie einen neuen Karton öffnete. »Wozu du diese Sammlung von Nackten mit dickem Hintern um dich scharen willst, will ich lieber gar nicht psychologisch deuten!«
Jetzt hatte sie Jonas wirklich gekränkt. »Das sind wunderschöne Holzplastiken aus den verschiedensten Teilen Afrikas, wo ich als Arzt gearbeitet habe. Natürlich Andenken, aber auch wertvolle Kultgegenstände!«
»Na gut, dann stell sie meinetwegen in deinem Büro auf. Aber bitte nicht zwischen meine schönen Möbel!«
»Schöne Möbel? Alles echt aus Schweden?«
Manuel hatte inzwischen eine weitere Kiste geöffnet. Er zerrte und zog an etwas Buntgemustertem, bis das gute Stück vor ihnen lag.
»Was ist das denn?«, rief Paula entsetzt.
»Das ist bestimmt ein fliegender Teppich«, freute sich Manuel.
Jonas lachte. »Das ist ein Kelim. Fliegen kann der auch. Es gibt noch mehr davon. Dieser hier ist zweihundert Jahre alt. Seine grüne Farbgebung ist außerdem sehr selten. Ich hatte ihn immer neben meinem Bett liegen.«
Paula seufzte theatralisch. »Dann leg ihn meinetwegen auf deine Seite im Schlafzimmer, damit ich ihn nicht sehen muss. Aber das ist jetzt wirklich der allerletzte Kompromiss. So, und jetzt muss ich endlich los.«
»Jagst du wieder die Bösen?«, fragte Manuel mit großen Augen.
»Meine Mama erzieht die Kinder, und meine Tante jagt die Bösen«, hatte er seine Familienverhältnisse neulich auf dem Mommsen-Spielplatz seinem Spielfreund Luca erklärt.
»Ja«, sagte Paula. »Die knöpf ich mir jetzt einzeln vor. Ihr müsst also allein weiter auspacken.«
»Brauchst du den Wagen?«, fragte Jonas.
»Ja, gib mir den Schlüssel!«
»Und wie heißt das kleine Zauberwort?«
»Bitte!«, rief Manuel.
»Sofort!«, rief Paula im gleichen Moment, und alle drei lachten. Sie drückte den beiden zum Abschied einen Kuss auf. »Ich nehme das Auto. Ihr könnt es ja inzwischen mit dem fliegenden Teppich probieren.«
22
P aula fuhr zur PTU, um sich ausführlich über die K.-o.-Tropfen aufklären zu lassen. Besonders seit der Jahrtausendwende hatte die Anzahl der aktenkundigen Fälle deutlich zugenommen, in denen die Substanz GHB Liquid Ecstasy in der Techno-Szene bekannt geworden war. Sie wusste, dass etwa hundert Milliliter im Internet nicht mehr als fünfundzwanzig Euro kosteten.
Die Chemielaborantin Eva Seifert schüttelte ihre roten Locken, winkte Paula näher heran und beugte sich über das Mikroskop: »Sehen Sie hier: Bei einem normalen Drogen-Screening legt man einen Blutstropfen auf so ein kleines Glasscheibchen, wie ich es hier habe, auf eine Skala. Mit diesem Gerät, das sich an das Mikroskop anschließt, kann man sofort ablesen, ob eine von diesen dreißig verschiedenen Drogen darunter ist. Dazu gehören Cannabis, Opiate, Benzodiazepine. Das sind die gängigen Checks. Plus Amphetamine. Bei dem herkömmlichen Drogen-Screening ist eine Prüfung auf K.-o.-Tropfen also nicht dabei.«
Weil GHB nur wenige Stunden im Blut und Urin nachweisbar war, musste schnell und gezielt darauf untersucht werden. Die Tests waren aufwendig, ganz im Gegensatz zu den Nachweisverfahren von Rohypnol, Flunitrazepam und Diazepam-Substanzen, deren Spuren länger im Körper blieben.
Paula erfuhr, dass man zum Nachweis von GHB ein Massenspektrometer in Kombination mit einer Gaschromatographie benutzte, und ließ sich das ebenfalls zeigen. »Das Spektrometer zeigt
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