Unschuldig
korrigierte, dass Michi Rohde aus dem Catering-Team tatsächlich der Letzte war, der sie lebend gesehen hatte. Er habe gerade die letzten Handgriffe gemacht, um seinen Wagen aufzuräumen und zu verschließen, als Lea Buckow gegen zweiundzwanzig Uhr aus dem Restaurant gekommen sei und sich von ihm einen Whiskey mit Orangensaft habe mixen lassen. Danach sei sie wieder ins Restaurant gegangen und er sofort nach Hause gefahren.
Das war Paula neu. »Hast du seine Anschrift?« Sie notierte Straße und Hausnummer und nahm sich vor, den Mann aufzusuchen und genauer nach seinen Eindrücken zu befragen.
»Das Catering wird von mehreren Leuten gemacht. Rohde ist der Chef und hatte an dem Nachmittag Dienst. Dann war da noch eine Mitarbeiterin mit Namen Gina, die die Produzentin aber gar nicht bemerkt hat, weil sie den Müll wegbrachte«, ergänzte Tommi.
Herbert sagte, die Spurensicherung der beiden Tatorte sei abgeschlossen, und es liege jetzt auch die Untersuchung der Spuren vor, die unter Lea Buckows Fingernägeln gefunden worden waren. Die DNA konnte aber bislang niemandem zugeordnet werden.
»Also auch nicht Sascha Buckow? Oder Tim Möller?«
»Nein.«
Die beiden schieden somit wohl als Tatverdächtige aus. Aber Paulas Gedanken kehrten immer wieder zu Möller zurück, während Marius seinen Eindruck über die Zusammenhänge zwischen den Morden an Lea Buckow und Felix Kleist referierte. »Es gab eine Art psychologischer Übereinstimmung zwischen den beiden Opfern.« Dabei sah er Paula mit einem entschuldigenden Lächeln an. Er wusste ganz genau, wie sie verschwommene Begrifflichkeiten hasste. In dem Moment, als die Opfer umgebracht wurden, gab es ganz sicher eine Art psychologischer Übereinstimmung zwischen ihnen. Aber sie riss sich zusammen und schwieg auch, als er fortfuhr: »Beide waren ausgeprägte Charaktere, wurden von fast allen, mit denen wir gesprochen haben, als dominant beschrieben. Einige Leute aus dem Filmteam finden Felix Kleist ziemlich tough, und ein alter Freund von Lea Buckow hat sogar den Begriff gefühlskalt für sie benutzt.«
Paula hielt Marius’ Versuch, ein Psychogramm der beiden Toten aufzustellen, eher für ein Zeichen von Hilflosigkeit. Noch hatten sie nichts, was Aussicht auf eine heiße Spur versprach. Sie nahm den Anruf der Staatsanwältin Chris Gregor auf ihrem Handy entgegen und verließ den Besprechungsraum. Chris hatte schon ein paarmal versucht, sie zu erreichen, aber erst jetzt konnte Paula sich ein paar Minuten Zeit für die Freundin nehmen. Obwohl Chris eine auffällige und extrovertierte Erscheinung war und Paula eher zurückhaltend, hatten sie sich auf Anhieb verstanden. Vielleicht ein Fall von Gegensätzen, die sich anziehen. Jede meinte wohl, dass die andere etwas hatte, was ihr selbst fehlte. Nach ein paar persönlichen Worten fasste Paula die bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammen.
»Die Vorstellung, dass er ein Grapefruitmesser und einen Kaffeelöffel genommen hat, um die Augen herauszuschälen, ist ziemlich unappetitlich«, sagte Chris.
»Vor allem interessiert mich: Warum drapiert er Würmer in den Gesichtern seiner Opfer?«
»Was, um Himmels willen, ist das für ein Perverser?«, rief Chris aus.
»Tut mir leid, ich habe keinen Schimmer. Ich bin jetzt seit sechzehn Stunden auf den Beinen. Und das Ergebnis ist im Großen und Ganzen, dass ich weiß, dass Lea Buckow und Felix Kleist höchstwahrscheinlich von demselben Täter ermordet wurden.«
Die Staatsanwältin atmete hörbar ein: »Super Ergebnis«, sagte sie trocken.
20
A nfangs hatte er die Zeit des Wartens im Wagen mit Musikhören verbracht: Love is gone, I know you want me, Rhythm is a dancer, Please don’t go.
Dann zählte er die einzelnen Haltestellen der U2 in Richtung Pankow auf, vorwärts und rückwärts, von Ruhleben bis Pankow und zurück.
Schließlich versuchte er, sich an zehn Filme nach Fabians Tod zu erinnern, die er allein gesehen hatte: Die Monster AG, Die wilden Kerle, Der kleine Vampir, Die drei ??? – Fabian liebte Abenteuerfilme! – Krabat, Hände weg von Mississippi und Harry Potter, Schweinchen Babe in der großen Stadt, Vorstadtkrokodile. Er kam nur auf neun Filme und fing wieder von vorn an. Einer fehlte immer noch. Also wieder zurück zu den Haltestellen der U2, da fühlte er sich sicher.
Fabian hatte nicht einmal das neue Jahrtausend erleben dürfen, dachte er wehmütig. Er starb am 12. 2. 1999. Das war die Nacht von Freitag auf Samstag. Mit niemandem konnte er darüber
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