Unschuldig
eine bestimmte Wellenlänge, die das Licht annimmt, wenn es die Substanz durchläuft. Diese Reaktion ist feststellbar, wenn es sich dabei um GHB handelt.«
Sie dachte noch einmal an die letzten Minuten von Lea Buckow und Felix Kleist. Eine genaue Dosierung von K.-o.-Tropfen hinzubekommen wäre äußerst schwierig, hatte Frau Seifert gesagt. Die therapeutische Breite von GHB sei extrem gering, deshalb werde es auch nicht in der Anästhesie eingesetzt. Die beiden Opfer waren an den Folgen der bewussten oder unbewussten Überdosierung der Tropfen gestorben.
Vielleicht hatte der Täter deren Tod nur in Kauf genommen, und es wäre für ihn auch okay gewesen, die beiden hätten überlebt? Das würde dann wohl bedeuten, dass er seine Opfer zwar betäuben wollte, es aber tatsächlich »nur« auf die Augen abgesehen hatte.
»Wissen Sie, wie viele der Opfer von K.-o.-Tropfen überleben?«, fragte Paula die Chemielaborantin.
»Ich vermute, die meisten. Die Anzahl der Todesfälle dürfte überaus gering sein. Hauptsächlich werden die Tropfen wegen der berauschenden Wirkung benutzt, oder auch, um Opfer wehrlos zu machen. Sie wurden beispielsweise schon immer angewandt, um reiche Kunden im Bordell auszurauben oder um Frauen zu missbrauchen. Nach dem Erwachen können sich die Opfer häufig aufgrund von anterograden Amnesien, also kurzen Gedächtnislücken innerhalb der Wirkungszeit, nicht mehr an die Tat oder die Tatumstände erinnern.«
»Ja, in den aktenkundigen Fällen sind keine wirklich verwertbaren Aussagen der Opfer festgehalten, meist nur Traumsequenzen oder fragmentarische Szenen und Bilder der Opfer.« Paula überlegte einen Moment: »Wie viel davon braucht man, um einen Menschen für Stunden in Bewusstlosigkeit zu versetzen? «
»Nur wenige Milliliter, ich schätze, so fünf bis zehn.«
»Und wie lange dauert es dann, bis es wirkt?«
»Wahrscheinlich je nach Dosierung bis zu zehn Minuten. Hängt auch davon ab, ob es zusammen mit Alkohol eingenommen wird. Dann geht es natürlich schneller.«
Paula bedankte sich bei der Laborantin und machte sich mit diesen Informationen auf den Weg zurück ins Büro.
Das Dienstgebäude des LKA I/Abteilung für Delikte am Menschen, wie es offiziell hieß, sah viel zu freundlich aus für die Dinge, die im Inneren besprochen wurden. Paula ging durch den Haupteingang, über dem sich zwei Jünglingspaare reckten. Auf den Köpfen trugen sie eine Schale voller Blumen und ein Gefäß mit Früchten. Die Decke in der hohen Halle bestand aus Kassetten in Lindgrün, Orange und Gelb, mit violetten Sternen in der Mitte. Die Marmortreppen rechts und links davon wurden auf beiden Seiten von Säulen mit Kapitellen und farbenprächtigen Akanthusblättern flankiert.
Paula grüßte zwei Kollegen, die ihr auf dem Flur im ersten Stock entgegenkamen. Bis zur Vernehmung von Ben Bauer hatte sie noch eine gute Stunde Zeit. Anschließend würden alle an dem Fall Beteiligten zur Besprechung zusammenkommen.
Sie setzte sich sofort an den Schreibtisch und blätterte alles durch, was sie und ihre Kollegen über Buckow und Kleist zusammengetragen hatten, einschließlich der Zusammenfassung von Max Jahnke. Sie überflog auch schnell die Zeitungen. Es stand eine ganze Menge darin über die beiden Morde, allerdings nichts, was sie nicht bereits wusste. Wenigstens waren die Medien ihnen nicht voraus. Was ist bloß los mit mir?, dachte sie stirnrunzelnd. Habe ich so wenig Vertrauen in unsere Arbeit, dass ich tatsächlich befürchte, in der Presse mehr Hinweise als in den Ermittlungsunterlagen zu finden?
Hinter jedem Verbrechen gab es eine Geschichte, und die galt es aufzuspüren. Darauf lief ihre kriminalistische Arbeit letztlich hinaus: die Voraussetzungen für eine Tat sichtbar zu machen. Es war immer eine Rückwärtsbewegung. Während der Täter nach vorn plante, auf sein Ziel hin, begannen die Ermittler bei dem getöteten Menschen, mussten den Plan des Täters rückwärts gehend aufdecken, also in ihrem Fall die Vergangenheit der beiden Opfer noch gründlicher durchkämmen, um eventuelle Gemeinsamkeiten oder Querverbindungen zu finden. Welche Filme hatten die beiden zusammen gedreht – außer diesen aktuellen? Wie viele gemeinsame Projekte hatte es gegeben? Wo hatten sie sich kennengelernt? Wann? Und durch wen? Es konnte doch kein Zufall sein, dass beide beim Film arbeiteten, da musste es einen Zusammenhang geben.
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T ommi klopfte an ihre angelehnte Bürotür und informierte sie, dass Ben Bauer
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