Unschuldig
sie blickte zur Tafel, auf der sie einige Notizen gemacht hatte, »… zweiundsiebzig Komma fünf Kilo und einer Größe von einem Meter einundsiebzig.« Sie stellte das Aufnahmegerät kurz ab.
Paula atmete tief durch und blickte in das weiße Gesicht des Toten. Seine Lider waren geöffnet und blutverkrustet. Blut war in sein dunkelbraunes Haar und zu den Ohren, auf den Hals und die Brust gelaufen. Die leeren Augenhöhlen mit den losen Sehnen und das getrocknete Blut auf seinem Körper ließen Kleist aussehen, als hätte er sich in einem seiner Filme in den Tod persönlich verwandelt.
Dr. Weber diktierte weiter: »Das Erscheinungsbild des Verstorbenen entspricht dem angegebenen Alter von achtundvierzig Jahren. Die Leiche ist für einen Zeitraum von zirka vierzig Stunden gekühlt worden.« Sie hielt inne, räusperte sich und fuhr dann mit der klinischen Beschreibung des Mannes fort. Sie listete die Merkmale seiner äußeren Erscheinung auf, während Paula sich vorstellte, was der Schauspieler durchgemacht haben musste. War er noch bei Bewusstsein gewesen, als der Täter ihm gewaltsam die Augäpfel herausgeschält hatte? Was mochte er in den letzten Minuten seines Lebens gedacht und gefühlt haben?
Dr. Weber sprach ohne erkennbare Emotion. Sie hob den linken Arm der Leiche an, der völlig steif war. Giesecke packte ihn und brach die Muskelstarre. Es knirschte laut, und Chris wich erschrocken einen Schritt zurück. »Die Körperteile wie auch das Gesicht selbst werden mit Folien abgeklebt«, fuhr die Pathologin fort. »Grobsichtig sind hier keine Fremdpartikel zu erkennen. Vorsorglich werden mittels kleiner Klebestempel die Randpartien der traumatisierten Augenhöhlen abgetupft, um eventuell Metallabrieb des am Tatort sichergestellten Kaffeelöffels zu asservieren.«
Wenk begann, die Ränder der Augenhöhlen abzukleben. Anschließend trat Giesecke an das Kopfende, packte Unter- und Oberkiefer des Toten, drückte, zog und zerrte, bis der Mund sich schließlich öffnete.
Dr. Weber leuchtete hinein. »Die Schleimhaut des Mundvorraumes ist unverletzt. Auch hier gibt es keine Zeichen von Gewalteinwirkung. Der Rachen …« Sie nickte Giesecke auffordernd zu, der nun seine Hände in den Mund schob, um ihn noch weiter aufzuzerren.
Die Gerichtsmedizinerin beugte sich vor und leuchtete hinein. »Der Rachen ist frei, aber aufgrund der Leichenstarre nur schwer einsehbar. Keine Auffälligkeiten.« Sie nickte und richtete sich wieder an ihre Helfer. »Zum Zwecke spurenkundlicher Untersuchungen werden sämtliche Nagelreste der Finger einzeln asserviert, ebenso verschiedene Kopfhaarproben und Schamhaare. Die Schamhaare wurden zuvor ausgekämmt.«
Wenk nahm eine bereitliegende Schere und begann, dem Toten die Fingernägel zu schneiden. Pro Finger verwendete er eine neue Plastiktüte, die er sorgfältig verschloss und beschriftete.
»Hatte er kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr?«, fragte Paula.
»Dafür haben wir keinen Anhaltspunkt. Wir untersuchen aber noch genauer auf Spermaspuren.« Dr. Weber setzte mit ruhiger Hand bei der Leiche den Standard-Ypsilon-Schnitt. Behutsam und fast zart legte sie das Skalpell an. Das Geräusch, das entstand, als sie die Hautschichten wegklappte, schlug Paula dann doch auf den Magen.
Dr. Weber entdeckte nichts. »Es ist merkwürdig, ich kann keine Ursache für das Herzversagen finden.«
»Vielleicht auch K.-o.-Tropfen?«
Die Pathologin zuckte mit den Schultern. »Möglich. Wir machen noch einen Hautoberflächenscan.«
Paula blickte sie fragend an.
»Wir lassen ihn sowieso auf GHB testen.«
»Und wenn Sie keine Einstiche finden, muss er das oder etwas anderes oral eingenommen haben, das zum Tod führte?«
»Genau.« Mit einer entschiedenen Geste zog Dr. Weber ihre Handschuhe aus, warf sie in den offenen Abfallbehälter und nahm ein neues Paar aus der Box vom Regal. Dann diktierte sie weiter: »Die Leiche wurde mit dem üblichen Ypsilon-Schnitt geöffnet. Die Organe im Thoraxraum und im Abdomen befinden sich in der normalen anatomischen Position.« Sie klammerte den Magen ab und entfernte ihn. »Das wird jetzt unangenehm«, warnte sie vor und legte den Magen in eine Schale aus rostfreiem Stahl.
Sofort verbreitete sich ein intensiver unangenehmer Geruch im Raum. Chris schmierte sich noch mehr Menthol-Salbe unter die Nase und bot auch den anderen davon an. Paula nickte und nahm sie dankend an. Sie hatte schon viele Autopsien miterlebt, und nichts verströmte einen so beißenden Geruch wie
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