Unschuldig
der Verdauungstrakt.
Bis auf das monotone Geräusch der Kühlanlage war es still im Raum. Dr. Weber trennte mithilfe von Klemmen den Dünndarm vom Dickdarm. Die Gedärme lagen schlaff in ihren Händen wie große nasse Nudeln, als sie sie mit Schwung aus der Bauchhöhle hob. Während der letzten Tage seines Lebens hatte Felix Kleist nicht sehr viel Nahrung zu sich genommen, denn die Därme waren relativ leer.
»Wurde er vielleicht vergiftet?«, fragte Chris aus sicherer Entfernung zum Autopsietisch.
Dr. Weber schüttelte den Kopf. »Der Mageninhalt war unauffällig, es gibt keinen konkreten Hinweis auf eine Intoxikation.«
»Was wäre so ein Hinweis?«, wollte Chris wissen.
»Zum Beispiel auffällige Gerüche aus den Körperhöhlen und Organen. Wir werden den Mageninhalt im Labor untersuchen lassen, aber zuversichtlich bin ich da nicht.«
»Hat sich an Ihrer Todeszeitfeststellung etwas geändert?«, fragte Paula.
»Nein. Schon am Tatort habe ich die elektrische Erregbarkeit geprüft. Der Befund war positiv, das heißt, dass der Tod erst sechs bis acht Stunden zuvor eingetreten war.« Dr. Weber schaute besorgt zu Chris. »Aus allen Faktoren – wie der Prüfung der Leichenstarre in allen großen und kleinen Gelenken, der Wegdrückbarkeit der Leichenflecke und den diagnostizierten Fäulnisveränderungen – ergibt sich für mich die Zeit zwischen zwei und drei Uhr vorgestern Nacht, also halb drei als Mittelwert.« Die Pathologin drehte den Toten behutsam auf die Seite.
Dr. Giesecke ging zum Lichtschalter, während die Ärztin ihre Handschuhe abstreifte. Sie nahm die Speziallampe zur Hand, mit der sie Spermaspuren sichtbar machen konnte. »Fertig?«, fragte er.
»Ja«, sagte Dr. Weber, und das Licht ging aus. Paula blinzelte ein paarmal, bis sich ihre Augen an das unnatürliche Licht gewöhnt hatten.
Langsam führte Dr. Weber das Schwarzlicht über den Unterleib des Toten, dann drehte sie ihn mit Gieseckes Hilfe behutsam auf die Seite. Mit der Lampe leuchtete sie jetzt an dem Einschnitt entlang, den sie ins Rektum gemacht hatte. »Halten Sie das mal«, sagte sie und gab Paula die Lampe. Sie zog ein neues Paar Handschuhe über und öffnete den Einschnitt mit dem Skalpell noch ein Stück weiter. Nichts. Keine lila Flecken, also auch keine Spermaspuren.
»Ist es eigentlich sicher, dass der Täter zwangsläufig ein Mann gewesen sein muss?«, fragte Chris.
»Nein. Es kann auch eine Frau gewesen sein«, bemerkte Dr. Weber, »in dem Fall allerdings eine einigermaßen kräftige. Augäpfel zu entfernen erfordert schon eine gewisse körperliche Kraft. Fremde DNA gibt’s offenbar nicht. Hat die Spurensicherung den Tatort weiträumig abgesucht?«
»Ja. Keine Auffälligkeiten, keine Zigarettenstummel oder Ähnliches«, antwortete Paula. »Eine Mütze mit Augenschlitzen wurde gefunden, aber die festgestellte DNA führte nirgendwohin.«
Dr. Weber legte den Körper des Toten wieder auf den Rücken und machte einen Schnitt quer über den Kopf, von Ohr zu Ohr. Dann klappte sie die Kopfhaut nach vorne, und Paula sah das Gesicht des Schauspielers wie eine Gummimaske in sich zusammenfallen. Sie erinnerte sich an seine lebhafte, unausgeglichene Art während der Unterhaltung, die sie mit ihm geführt hatte, und auch an die Trauer seiner Mutter.
Chris musste den Autopsiesaal verlassen, als die kreischende Säge einsetzte, mit der Dr. Weber den Schädel öffnete. Auch hier entdeckte die Pathologin keine Auffälligkeiten.
»Was haben Sie sonst noch?«, wandte sie sich an Paula.
»Nicht viel. Wir sind dabei, Familie und Freundeskreis zu überprüfen, es gibt zahlreiche Personen, mit denen wir reden müssen. Die Listen mit den Handynummern sind lang.« Paula verabschiedete sich: »Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas haben?«
»Sicher«, sagte Dr. Weber.
»Einen Moment noch, Frau Zeisberg!« Dr. Giesecke hob die Hand.
»Ja?« Paula blieb in der Tür stehen.
»Anhand des Verlaufs der Enukleierung mit dem Kaffeelöffel glaube ich, dass wir es mit einem Rechtshänder zu tun haben.«
»Na prima«, sagte Martina Weber trocken, »dann hat die Kommissarin ihn ja bald.«
26
A ls Paula den Inhaber von Mamis Catering aufsuchte, nahm sie Max mit. In diesem Fall war es möglicherweise eine Personalvergeudung, obgleich es Vorschrift war, wichtige Zeugen zu zweit zu Hause aufzusuchen. Aber so hatte sie wenigstens jemanden dabei, der im Zweifelsfall die Aussagen von Michi Rohde bezeugen könnte.
Paula hatte eben erst an der Tür des
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