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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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kaum noch. Studierte nicht mehr. Ob ihre Eltern davon Wind kriegten oder nicht, war ihr scheißegal. Sie war ihren Eltern doch auch scheißegal. Aus reiner Gewohnheit rief ihr Vater einmal die Woche an und erkundigte sich, wie es ihr ging. Er nannte sie »mein Sternchen« und »Prinzessin« und »Blümchen«, er überwies ihr das Geld, das sie zum Leben brauchte, viel Geld, aber er hatte sie aufgegeben.
    Sie öffnete das Cover, und ihre Facebookseite poppte auf. Elf neue Nachrichten. Alle von Zinar. Sie löschte sie ungesehen. Sie wollte von ihrem Bruder nichts wissen. Dann scrollte sie durch die Postings, aber keines konnte ihre Aufmerksamkeit erringen. Lustige Bilder, Videocliplinks, politische Aufrufe. Ihr Blick blieb an der Werbeleiste am rechten Rand hängen. Aras gefällt ZeleMele.
    ZeleMele also, dachte Sergul. Es war nicht gerade ihre Musik, trotzdem ging sie auf die Website des kurdischen Musikers. Sie klickte den Song »dilemosa« an, und als die ersten Klänge des Pianos erklangen, krampfte sich ihre Brust zusammen. Sie schloss die Augen und dachte an Aras. Dass er im Gefängnis saß. Dass Derya tot war. Und sie dachte an den Abend, als sie das Fest gefeiert hatten. Im Morgengrauen war Aras noch zu ihr ins Zimmer gekommen. Er war durchs Fenster geklettert, und sie hatten sich geliebt. Nicht zum ersten Mal, er hatte sie schon einmal in Ankara besucht. Der Sex mit ihm war großartig gewesen. Er war ein schöner, kräftiger Mann mit großer Ausdauer und Hingabe. Wenngleich er, wie die meisten seiner Landsmänner, weniger an ihrer Lust interessiert war als daran, im Bett eine gute, nein, eine überdurchschnittliche Leistung zu bringen. Aber er hatte wunderbar gerochen und geschmeckt. Das war wichtig für Sergul, sie konnte keinen Mann lieben, den sie nicht riechen konnte.
    Derya hatte sie damals nichts erzählt, niemand sollte wissen, dass sie mit Aras schlief. Das hätte nur das Bild bestätigt, das ohnehin alle von ihr hatten. Sie hatte sich gefragt, ob sie ihn heiraten würde, aber sie wusste, dass das Grübeln darüber müßig war. Aras hätte sie niemals geheiratet. Selbst wenn er sich in sie verliebt hätte. Und obwohl er damit in die wichtige Familie von Bozan, ihrem Vater, eingeheiratet hätte. Sergul wusste genau: Aras hätte sie nicht geheiratet und auch kein anderer Mann aus einem der Clans. Sie war kein Mädchen mehr für die Heirat. Sie war keine Jungfrau mehr gewesen, als sie ins heiratsfähige Alter kam. Sie war wertlos für ihren Vater, seit ihrem vierzehnten Lebensjahr. Und alle wussten es. Sie war nicht Sergul, die Blume der Blumen. Sie war Sergul, die Befleckte. Nur deshalb hatte sie nach Ankara gehen und studieren dürfen. Hatte ein Apartment bekommen und ein westliches Leben führen dürfen. Es war letztendlich ihr Glück gewesen, dass sie nicht zehn, zwanzig Jahre früher gelebt hatte. Wer weiß, wie ihr Vater dann mit ihr verfahren wäre.
    Sergul klickte ZeleMele weg. Seine klagende Stimme konnte sie nicht aushalten, es erinnerte sie daran, dass Derya tot war. Und dass Aras im Gefängnis saß. Derya war tot und Aras im Gefängnis. Derya tot, Aras Gefängnis. Ihr war, als könnte sie seit Deryas Tod an nichts anderes denken, als wäre sie in einer Endlosschleife gefangen. Sergul griff nach dem Blister mit dem Valium.
     
    Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin:
    Gegenwärtig Staatsanwalt Eisenrauch als Vernehmender. Auszug aus dem Protokoll in der Ermittlungssache gegen den Beschuldigten Aras D. wegen vorsätzlicher Tötung von Derya D.
    Vernehmung der Zeugin Sibylle B. in den Räumen des Polizeipräsidiums Berlin LKA
    […]
    EISENRAUCH: Frau B., ich darf also zusammenfassend festhalten, dass die Angaben über den Verlauf des Abends, die Sie seinerzeit, genauer am 27. 8. auf der Polizeidienststelle in Charlottenburg gemacht haben und später auch vor Gericht, nicht der Wahrheit entsprachen?
    BUCHERER: Ja. Leider. Das stimmt.
    EISENRAUCH: Sie haben uns soeben einen neuen Ablauf geschildert, dem zufolge Sie dem Opfer bis zum Bahnhof Heerstraße gefolgt sind, es auf dem Bahnsteig angesprochen und mit ihm gemeinsam das Bahnhofsgebäude verlassen haben.
    BUCHERER: Ja.
    EISENRAUCH: Sie geben ferner an, dass Sie sich anschließend mit dem späteren Opfer auf einer Bank an der Grünanlage zwischen Lötener Allee und der Teufelsseestraße unterhalten haben. Das Gespräch dauerte Ihren Angaben zufolge maximal fünfzehn Minuten, danach wollen Sie nach Hause gegangen sein, Derya Demizgül ließen

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