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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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Gruppen spezialisiert. Meist sind dies geschlossenere Kreise; die Mitglieder bleiben gern unter sich. Es gibt wenig äußere soziale Kontrolle. Man fühlt sich verbunden in einer komplizierter werdenden Welt.
    Mit seiner kleinen Schar Ergebener zieht Schäfer durch Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich.Den braunen, später rot-schwarz angemalten VW Bulli T1, in dem sie unterwegs sind, hört man schon von Weitem: Unter der Lüftungsöffnung im Dach ist ein Lautsprecher eingebaut, der nach draußen überträgt, was sie drinnen auf der Gitarre klampfen: Christliche Gesänge, Pfadfinder- und Soldatenlieder, viel Altvertrautes:
    Wenn wir marschieren,
Zieh’n wir zum deutschen Tor hinaus;
Schwarzbraunes Mädel,
Du bleibst zu Haus.
    Paul Schäfer findet schnell Anhänger, besonders seine Jugendarbeit beeindruckt. Der Mann hat einen Plan. Er ist locker, immer gut drauf. Mehr als das: Auf viele wirkt er ansteckend euphorisch. Ein großer Organisierer ist er außerdem. Er organisiert Zeltfreizeiten. Die erste 1954. An der dritten im Sommer 1956 nimmt auch der kleine Wolfgang Müller aus Lutter am Barenberg teil, weil sein Vater auf der Rückfahrt vom gewonnenen Fußballspiel in Braunschweig einen Umweg macht, um ein wenig Familienfreizeit mit Frau und Sohn zu erleben. Und 1957 taucht Schäfer mit seinem Trupp dann in Lutter auf.

KAPITEL 3
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Akquise
    1957
Gesellschaft: Sputnik I in Umlaufbahn. Mann und Frau gleichberechtigt, Männer haben »Stichentscheid« bei Kindererziehung;
Pamir sinkt; Rosemarie Nitribitt (24) ermordet.
Im Kino: Und immer lockt das Weib (Brigitte Bardot);
Nachts, wenn der Teufel kam (Mario Adorf).
Schlager: True Love (Bing Crosby);
Wo meine Sonne scheint (Caterina Valente).
Politik: F.-J. Strauß will die Bundeswehr atomar bewaffnen.
Spruch des Jahres: Ob Deutschland und Europa christlich bleiben oder kommunistisch werden, entscheidet sich bei der Bundestagswahl. (Konrad Adenauer)
    Für ein Kind vergeht die Zeit oft in unerklärlichen Sprüngen. Manch Unbegreifliches geschieht, ist wieder vorbei, wird durch Neues überdeckt, wird vergessen.
    Eines Tages nimmt Wolfgangs Mutter ihren Sohn wieder mit zu einem Treffen der Baptisten. »Was soll das?«, meint der Vater, »wir sind evangelisch.« Aber er murrt es nur, sie geht sowieso. Paul Schäfer tritt wieder auf. Einige seiner jugendlichen Begleiter sind mit von der Partie, Gerhard Mücke, genannt Mauk, und Heinz Kuhn. Auch Hugo Baar, ein junger Baptistenprediger aus Salzgitter, ist dort. Wieder findet eine Evangelisation statt, die Botschaft der Bibel, wie Paul Schäfer sie auslegt, soll unter das Volk gebracht werden.
    Schäfer erzählt auch von dem neuen Jugendheim, das in Heide gebaut werden soll, lädt schon mal großzügig zu Wochenendbesuchen ein. »Das ist was für deinen Sohn«, sagt er zu Wolfgangs Mutter. »Das macht Spaß, dort sind viele Jungen in deinem Alter«, wendet er sich dann direkt an den Sohn. »Komm in denSommerferien.« Wolfgang ist brav. »Ja«, sagt er höflich. Dann verabschiedet er sich. »Ich bin früh gegangen, weil ich noch ein kleiner Junge war«, erklärt er mehr als fünfzig Jahre danach, denn der Abend ist ihm noch sehr gegenwärtig. »Ich war erst zehn. Ich war müde und bin ins Bett gegangen.«
    Für die anderen dauert der Abend länger. Dann ist es zu spät, um noch weiterzufahren. Schäfer fragt nach Schlafgelegenheiten für seine Leute und sich.
    »Beim Wolfgang ist noch ein Bett frei«, bietet Wolfgangs Mutter freizügig an.
    Wolfgang schläft schon, als es plötzlich wieder hell wird im Zimmer. Schäfer steht im Raum. Was will der hier? Er geht auf Wolfgang zu. Vielleicht will er mit ihm beten, ein Nachtgebet? Wolfgang wird unruhig. Er hat Schäfer zwar in der Versammlung gesehen und letztes Jahr in Groß Schwülper, aber er kennt ihn kaum. Wird Schäfer sich in das andere Bett legen? Kein Fremder hat je in Wolfgangs Zimmer übernachtet. Doch Schäfer geht nicht zum anderen Bett, und beten will er auch nicht. Er setzt sich auf Wolfgangs Bett. Er fasst mich an! Wolfgang erstarrt, als er die fremde Hand spürt. Er kann sich nicht wehren. Auch nicht, als Schäfer dann nach Wolfgangs Hand greift. Nicht einmal, als Schäfer anordnet, nun solle der Junge sich auf den Bauch legen.
    Ein Überraschungsangriff, eine Verrichtung, rücksichtslos, brutal und beliebig.
    Das war der letzte Tag von Wolfgangs Kindheit.
    Irgendwie geht diese Nacht vorbei.
    Am Morgen schaut Schäfer ihn mit seinen

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