Unser Sommer in Georgia
einen Schaukelstuhl fallen und schlug die Hände vors Gesicht.
Riley legte Maisy die Hand auf den Kopf, auf das kupferrote Haar, um das sie ihre Schwester mit sechs Jahren so sehr beneidet hatte, dass sie versucht hatte, sich mit einem Filzstift Strähnchen rot zu färben.
»Bitte, geh wieder rein, Riley!« Maisy schob Rileys Hand weg.
Da ihre Schwester ihren Zuspruch nicht wollte, zog Riley sich zurück und ging wieder ins Haus, wo sie den einzigen Trost fand, den sie kannte.
Fünfundzwanzig
Maisy
Es war Samstagmorgen, und Maisy lief vor dem großen Spiegel hin und her und zog sich rasch an, eine erwachsene Frau in einem Mädchenzimmer. Nachdem Riley ihr von der Krankheit ihrer Mutter berichtet hatte, war sie aus dem Driftwood Cottage und sogar aus Palmetto Beach geflohen. Mit Mamas Pick-up war sie die Küstenstraßen entlanggefahren, die sich durch das Lowcountry schlängelten. Auf einem Sandweg im Niemandsland von South Georgia hatte sie den Wagen schließlich abgestellt und ihren Tränen freien Lauf gelassen. Sie hatte über ihre zerstörten Zukunftsträume mit Mack geweint, über den Betrug an Lucy, über die verlorenen Jahre mit ihren Schwestern und über ihr hirnrissiges Verhältnis mit Peter. Und sie hatte aus Angst um ihre Mutter geweint. Maisy hatte nie daran gedacht, dass ihre Mutter erkranken oder sterben könnte. Erst als es stockfinster war, fuhr Maisy nach Hause und verkroch sich ins Bett.
Einmal wachte sie in der Nacht auf und suchte nach dem Fantasiebild von Mack, das ihr immer Trost geschenkt hatte, doch stattdessen fand sie nur Leere. Erneut fiel sie in den traumlosen Schlaf, aus dem erst ihr Handy sie aufschreckte. Maisy hörte die leise, verschlafene Stimme von Lucy Morgan. »Hallo, Maisy ...«
»Was gibt's, Lucy? Wie geht's?«
»Gut, gut ... Ich hatte gehofft, dass du heute vor der Party vielleicht noch ein bisschen Zeit hast, dich mit mir zu treffen. Ich nehme an, dass du morgen früh gleich wieder verschwindest.«
»Na ja, nicht gleich.«
»Können wir uns vor deiner Abreise noch sehen?«
»Sehr gerne«, antwortete Maisy, und sie meinte es ehrlich. Sie merkte, dass sie lächelte. »Im Moment brauche ich Kaffee. Viel Kaffee.«
»Willst du hier nach Bartow rauskommen?«
»Warum nicht?« Maisy stand auf und ging an dem großen Spiegel vorbei zum Schrank. »Ich verschwinde hier, bevor Mama aufwacht. Das ist das Beste.«
Lucy lachte, und Maisy legte auf. Sie zog ein Paar ausgefranste Jeans an und dazu ein T-Shirt mit einem Bild der Rolling Stones, das sie in der untersten Schublade ihrer Kommode aus der Mädchenzeit gefunden hatte.
Die Fahrt nach Bartow zeigte Maisy, wie beliebt das Lowcountry als Urlaubsregion geworden war. Feriendomizile hatten sich bis in die umliegenden Ortschaften hinein ausgebreitet. Von Kreuzung zu Kreuzung wurden die »Ferienhäuschen« größer, bis überall am Strand und an den Straßen luxuriöse Villen standen. Bartow selbst dagegen hatte sich wenig verändert. Schon das alte hölzerne Ortsschild, auf dem der Buchstabe a ganz verblasst war, erweckte den Eindruck, dass die ausufernde Bautätigkeit an diesem Ort bisher vorübergegangen war.
Der alteingesessene Coffee-Shop befand sich an einer Straßenecke. Lucy saß davor auf einer Bank und wartete auf Maisy. Sie trug eine Baseballmütze auf den braunen Locken, und eine große Sonnenbrille verdeckte die obere Hälfte ihres Gesichtes. Maisy parkte den Pick-up und ging zu Lucy hinüber.
»Ach, Maisy!« Die Freundinnen umarmten sich. »Wie lange bleibst du denn noch?«
Maisy zuckte die Achseln und legte eine Hand über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. »Ich muss anrufen und ...«, sagte sie, verhaspelte sich aber, als sie die Tränenspuren auf Lucys Wangen entdeckte. »Ist was passiert, Lucy? Fehlt dir was?«
»Tucker ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.«
Die Schuldgefühle und die Panik, die Maisy seit dreizehn Jahren mit sich herumschleppte, brauten sich jetzt wie ein Unwetter in ihr zusammen. »Ach, das tut mir leid!«, sagte sie. Lucy konnte nicht wissen, dass sie es in doppeltem Sinne meinte.
»Du kannst ja nichts dafür ... Ich hätte gar nichts sagen sollen. Bestimmt hat er bei seinem Freitagstreffen mit seinen Kumpels zu reichlich gebechert und ist dann bei Bobby eingeschlafen. So war es das letzte Mal auch.« Lucy lächelte unsicher.
»Das ist schon mal passiert?«, fragte Maisy forschend, bevor sie sich bremsen konnte. Die schluchzende Frau aus dem Blondinen-Club stand
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