Unsichtbare Kräfte
sich zu Schidlowsky, der neben ihn getreten war. »Nur Morawsky kann das gewesen sein. Aber warum?«
»Unmöglich. Die Spuren sind ja höchstens einen Schritt von unseren entfernt. Selbst bei der Dunkelheit hätte Morawsky nicht ungesehen an uns vorüberkommen können. Ebensowenig natürlich ein anderer.«
»Und doch ist es so!« rief Harrach dazwischen. »Die Spuren sind ganz frisch. Aber einerlei! Wir dürfen uns nicht länger aufhalten. Die Zeit wird knapp. Morawsky muß unser Rufen überhört haben. Suchen wir nach ihm!«
Harrach und Schidlowsky suchten vergeblich die Umgebung des Busches ab. Nirgends ein Pfad zu entdecken.
»Nun, Herr Harrach, Morawsky wird doch nicht geflogen sein? Hier in dieser Richtung ist er jedenfalls nicht gegangen. Eine Spur führt nach rückwärts. Sie muß von Morawsky sein. Es bleibt uns nichts übrig, als ihr zu folgen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen.«
Schidlowsky schritt dem Zug voraus. Ein paarmal kamen sie aus der Richtung, und nur nach langem Suchen fanden sie nach der alten Stelle zurück.
Harrach sah auf die Uhr. Mitternacht war längst vorbei - die Zeit, wo in Winterloo schon alles getan sein sollte. Ein Wunder, wenn sie überhaupt wieder aus diesem Morast herausfänden! Als letztes blieb ihnen ja noch die Möglichkeit, durch Schüsse die Grenzpatrouillen zu alarmieren. Aber das durfte nur im äußersten Notfall geschehen, denn es hieß ja, alles verraten. —
Die Nacht war schon beinahe vorüber, als sie wieder in Dobra ankamen. Schidlowsky und seinem Trupp wurde in einer Scheune ein notdürftiges Lager bereitet, da die Leute durch die nächtliche Anstrengung völlig erschöpft waren. Auch Harrach war am Ende seiner Kräfte, dachte an nichts anderes als an Schlaf. Mochte der Südamerikaner schimpfen und fluchen, soviel ihm beliebte!
Er wollte sich eben zur Ruhe legen, da pochte Schidlowsky stürmisch an die Tür. »Morawsky ist da!«
Im Nu war alle Müdigkeit von Harrach gewichen. Er warf einen Mantel über, eilte hinaus. »Wo ist er, der Schurke?«
»In der Scheune.«
Harrach stürmte wie ein Rasender der Scheune zu.
»Morawsky, weshalb hast du uns im Stich gelassen? Wie konntest du es wagen, einfach fortzugehen? Bist bestochen von der Gegenseite. Steh auf, wenn ich mit dir spreche!« schrie er den am Boden Liegenden an.
»Er ist gefesselt!« scholl es aus dem Haufen der anderen zurück.
»Gefesselt? Morawsky? Ah, ihr habt’s besorgt! Gut so!«
»Nein! Wir fanden ihn so.«
Harrach stand fassungslos. »Befreit ihn! Hebt ihn auf!«
Das war schnell geschehen. Stöhnend richtete sich Morawsky auf. Harrach schüttelte ihn am Arm. »Kannst du nicht sprechen? Erzähle, wie du hierherkommst! Wer hat dich gebunden?«
Stockend begann Morawsky: »Ich weiß es nicht, Herr. Ging in die Leutestube, einen Pelz zu holen. Wie ich auf dem Rückweg hier bei der Scheune vorbeikam, stürzte ich auf die Erde. Es war mir, als wenn mir plötzlich die Füße unter dem Leibe fortgezogen wären. Ehe ich mich aufraffen konnte, fühlte ich, wie mir Hände und Beine gebunden wurden ...«
»Und du weißt nicht, wer das war? Du hast niemand gesehen?«
Morawsky schüttelte den Kopf. »Ich habe niemand gesehen. Weiß nur noch, daß man mir den Pelz wegnahm und meine Mütze. Dann wurde es mir schwarz vor den Augen. Ich verlor die Besinnung. Wurde erst wieder wach, als die andern mich hier fanden.«
»Lüge, du Schurke!« schrie Schidlowsky dazwischen. »Du bist doch im Sumpf vor uns hergegangen - über eine Stunde lang!«
Harrach hieß ihn schweigen. »Sie vergessen, Schidlowsky, daß dem Morawsky Pelz und Mütze genommen wurden. Ein anderer hat sie angelegt. In der Nacht - er hat uns nur den Rükken gezeigt - konnte er unsere Augen täuschen.«
»Ah! Sie haben recht! Jetzt fällt mir auch auf, daß der, der da vor uns ging, kaum ein Wort gesprochen hat. Doch jetzt möchte ich schlafen! Bin hundemüde.«
Er warf sich neben die anderen aufs Stroh. Harrach ging mit Morawsky ins Haus zurück.
*
»Hörten Sie nicht oben Schritte, Wildrake?«
»Allerdings, Droste. Es war mir, als ginge jemand in Doktor Arvelins Zimmer.«
Hastig eilte Droste die Treppe zu des Doktors Räumen hinauf, klopfte an. Erst nach einer kleinen Weile wurde geöffnet.
»Ah, Vater Arvelin, wo bliebst du so lange? Und wie erschöpft du aussiehst! Wo warst du?«
Arvelin ließ sich in seinen Lehnstuhl fallen. »Ja, lieber Medardus, ich konnte es mir nicht versagen, den Scherz, den ich mit Harrach und seinen
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