Unsterbliche Küsse
englische Regen, den sie bis dahin nur vom Hörensagen gekannt hatte. Würde wohl nichts werden aus dem Spaziergang zur Kirche und der anschließend geplanten gemütlichen Zeitungslektüre auf dem Dorfanger.
Aber was soll’s. Sie würde den Tag damit zubringen, ihre Bibliothek zu erkunden. Sie hatte alle Zeit der Welt, wenn nur dieser komische Aga keinen Großbrand ausgelöst hatte.
Beim Verlassen der Dusche roch sie, dass gekocht wurde.
»Guten Morgen.« Emily verzog die runden Wangen zu einem breiten Lächeln. »Hab ich mir doch gedacht, dass Sie wach sind. Wie wär’s mit einem netten Plausch beim Frühstück? Geht doch nichts über einen gemütlichen Sonntagvormittag, oder?«
»Vielleicht eine Tasse Kaffee …«, sagte Dixie zögerlich. Sie versuchte, den Geruch einzuordnen. Würstchen oder Speck waren es nicht.
Emily schob den Toast ein und schenkte Dixie ein weiteres Lächeln. »Aber nicht doch, Sie müssen einen Happen zu sich nehmen. Ich habe etwas ganz Besonderes ausgewählt: Kalbsnierchen.«
Nieren! Dixie spürte, wie ihr die Galle hochkam. Eine Tasse Kaffee und dabei zusehen, wie ihre Landlady Speck mampfte, das ja, aber Nieren – niemals!
»Sehr nett von Ihnen, aber ich muss frühzeitig los.« Sie unterdrückte ihre Gewissensbisse angesichts Emilys enttäuschter Miene. Auch auf einen Toast oder Müsli blieb sie nicht. In ihrer Küche hatte sie Pulverkaffee und ein Päckchen Kekse. Das müsste reichen.
Der Aga war nicht ausgegangen. Die Küche war sogar einladend warm bei dem kühlen Schmuddelwetter draußen. Es ging doch nichts über ein Frühstück in den eigenen vier Wänden – nur leider war die Milch in der Speisekammer sauer geworden. Eine Tasse schwarzen Kaffees in der Hand notierte sich Dixie »Kühlschrank« auf ihrer Einkaufsliste. Das Wort stach ihr förmlich in die Augen. Sie war verrückt. Für einen Monat schaffte man sich keinen Kühlschrank an. Und wenn sie doch länger bleiben würde? Niemals. Sie hatte kein Telefon und war nicht vertraut mit der fremden Währung und dem Verkehr auf der falschen Straßenseite.
Sie machte sich noch eine Tasse Kaffee und ging damit nach oben.
Das eindringliche Läuten an der Tür unterbrach Dixie in ihrer Konzentration. Mehr als drei Stunden lang hatte sie sich in die Durchsicht der Bücher vertieft; dennoch widerstand sie der Versuchung, die Glocke einfach zu ignorieren, und schob die staubigen Folianten beiseite. Auf halbem Wege hielt sie inne. Wer war es? Christopher? Ihr schossen die Gerüchte von halbwüchsigen Einbrechern und Vandalen durch den Kopf.
Der Mahagonispiegel in der Diele zeigte einen Ausschnitt des Eingangsbereichs. Dixie sah genau hin – nichts außer dem unaufhörlichen Regen.
Scherzbolde, die läuteten und wieder wegrannten? Dixie war auf alles gefasst. Sie hatte in ihrem Job mit Jugendlichen gearbeitet.
Die Hand am Messingknauf wartete Dixie auf ein nochmaliges Läuten und spitzte durch das Fenster neben der Tür. Christopher! »Komm rein, du wirst ja klatschnass!« Sie öffnete die Tür bis zum Anschlag.
Seine Erwartungen übertreffend, bat sie ihn nicht nur herein, sondern griff sogar nach seiner Hand und zog ihn über die Schwelle. Nach all diesen Monaten war er endlich in diesem Haus. Nun könnte er kommen und gehen, wie es ihm gefiel, aber Dixies freundlicher Empfang löste ein ungutes Gefühl in ihm aus, in einem Herzen, das er nicht hatte. »Ich habe Alf gebeten, einen Lunch einzupacken. Immerhin darf ich dafür einen Blick auf die Bibliothek werfen.«
Ihre warme Hand streifte die seine, als sie den Korb entgegennahm.
»Für etwas Ordentliches zum Essen ist mehr als ein Blick drin. Ich habe lediglich ein Päckchen Kekse im Haus und lechze geradezu nach mehr.«
Nicht anders erging es ihm. Ein Lächeln so warm wie ihre Haut hätte möglicherweise ungeahnte Folgen für sie beide.
Dixie packte Spargel-Quiche aus, griechischen Salat mit Oliven und Schafskäse, etwas, das wie Fleischbällchen aussah, aber laut Alfs Versicherung etwas anderes war, sowie eine Riesenschale mit Obst.
»Das reicht ja für eine ganze Familie«, sagte Dixie und nahm Besteck aus der Eichenanrichte.
»Iss du nur, ich halte mich zurück. Als Allergiker muss ich vorsichtig sein.« Die altbewährte Notlüge war ein Eigentor. Zum ersten Mal in seinem langen Leben versetzte sie ihm einen Stich.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, mir den Magen vollzustopfen, während du zuschaust. Kann ich nicht wenigstens einen Kaffee für dich
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