Unsterbliche Lust
sagte Valerie in einem nervigen Tonfall. «Aber sie sind so ganz anders als die blonden Männer wie Paul, nicht wahr?»
Sasha lächelte, sagte aber nichts. Erst als Valerie aus der Tür war, imitierte sie deren letzten Satz: «… anders als die blonden Männer wie Paul», sagte sie schnaufend, dann schaute sie wieder auf das Foto der beiden, die ihren neugierigen Blick ebenso neugierig zu erwidern schienen. Sasha schaute auf die Uhr. Erst in eineinhalb Stunden begannen die Interviews. Die Aussicht, die beiden Männer zu treffen, die sie an das englische Gespenst erinnerten, verursachte ihr feuchte Hände und ein rasches Pochen des Herzens. Sie würde die eineinhalb Stunden brauchen, um sich unter Kontrolle zu bringen.
Es war zehn Minuten vor drei, als Sasha durch die schwere Glastür schritt, die zum U S-Marketing -Team im elften Stock führte. Sie nickte Wendy am Empfang kurzzu und trat in den Flur, in dem Charlotte Campbells Büro lag. Die überaus tüchtige Abteilungsleiterin konferierte gerade mit Mitch Clarke, ihrem Stellvertreter. «Hallo, Sasha, willkommen bei uns.» Charlotte wies freundlich auf einen Stuhl. «In ein paar Minuten geht’s los», fuhr sie fort. «Ich weiß, dass ihr darüber nachdenkt, eine ähnliche Kampagne in Großbritannien zu fahren, deshalb ist es nützlich, Informationen auszutauschen.» Sie deutete auf das Foto, das Sasha an ihre Brust drückte. «Das ist dein Favorit?»
Sasha hielt das Foto immer noch fest, als könnte sie sich nicht davon trennen. Aber Charlotte hatte die Hand ausgestreckt, und Sasha nickte und versuchte, ganz gelassen zu bleiben.
«Ich glaube, diese beiden Models sind vielversprechend», sagte sie. Es sollte professionell und nicht schwärmerisch klingen. «Aber ich müsste natürlich mehr von ihnen sehen als nur dieses eine Bild.»
Charlotte betrachtete das Foto, das Sasha ihr hinhielt, und sie sah ebenso verdutzt aus wie zuvor Valerie. «Ich kann mich nicht erinnern, das Foto schon einmal gesehen zu haben.» Sie wandte sich an ihren Kollegen. «Du, Mitch?»
Mitch schüttelte den Kopf. Charlotte nahm das Foto und drehte es um. Die Verblüffung steigerte sich noch, als sie feststellte, dass dort nicht die üblichen Angaben standen. Mitch überprüfte die Namen auf der Liste der Kandidaten, aber er wusste nicht, nach welchem Namen er suchen sollte. «Nun, wir werden sehen, welche Namen auf der Liste übrig bleiben, wenn wir die Interviews hinter uns haben», meinte Charlotte, schob das Foto zu den anderen und stand auf. «Gehen wir.»
Die Interviews fanden in einem der größeren Konferenzräume am Ende des Flurs statt. Sasha setzte sich neben die Kollegen und lächelte nervös die – in ihren Augen – schockierend jungen Models an. Sie beugte den Kopf über ihre Kladde und versuchte verzweifelt, ganz locker zu wirken.
Fast zwei Stunden später kämpfte Sasha gegen ein Gähnen an. Ihre ganze Unzufriedenheit mit dem nervigen Auswahlverfahren, das nun einmal zur Werbung gehörte, ließ sich nicht länger unterdrücken.
Obwohl ihre Anwesenheit bei den Interviews heute weniger langweilig war als sonst, weil sie sich völlig unprofessionellerweise heiß für die beiden geheimnisvollen Models interessierte, die noch kommen würden, ging ihr die ganze Prozedur auf den Geist.
Die endlose Parade junger Männer verlor schon nach zwei, drei Kandidaten jeglichen Reiz. Einige gaben sich gewollt lässig und überheblich, andere biederten sich an, dass es schon peinlich war. Die einen waren zu wenig gepflegt, die anderen zu übertrieben.
Es war schon fast fünf Uhr am Nachmittag, und von den Models, die Sasha so vertraut schienen, war immer noch nichts zu sehen. Sie stieß einen leisen Seufzer aus, strich sich den Rock glatt und stand auf, um sich den dritten Kaffee zu holen.
«Ich glaube, wir haben’s», sagte Charlotte, nachdem das letzte Model aus dem Zimmer gegangen war. Sie ließ das Schloss ihrer Aktenmappe zuschnappen. «Er war der letzte Name auf unserer Liste.»
Sasha schaute sie verwirrt an. Wo waren die beiden jungen Männer, deretwegen sie fast den ganzen Nachmittag vergeudet hatte? Warum wartete Charlotte nichtauf das Eintreffen der beiden? Alle Kollegen hatten es jetzt eilig, aus dem Konferenzraum zu fliehen.
Irgendwie setzte sich ein Gedanke in Sasha fest, den ihr Unterbewusstsein schon seit Stunden formuliert hatte: Die beiden jungen Männer auf dem Foto hatten etwas mit dem Spuk zu tun, der sie seit ihrer Englandreise verfolgte. Zu Sashas
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