Unsterbliche Lust
Verwunderung beunruhigte sie diese Erkenntnis nicht. Sie wollte Charlotte schon ins Büro folgen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Aufzug wahrnahm.
Ein siebter Sinn diktierte ihr Handeln. Sie lief rasch zum Lift, und ehe sich die Türen schlossen, rief sie noch: «Haltet die Tür auf!» Im nächsten Augenblick stand sie in der Kabine – ihr gegenüber die beiden Männer, die ihr seit Stunden im Kopf herumspukten.
Die Türen schlossen sich geräuschlos, und Sasha musste schwer schlucken. Sie schaute von einem zum anderen, und sie war so erregt, dass ihre Beine zitterten. Die Männer trugen schwarze Lederjacken, Jeans und Stiefel. Die schwarzen Haare und die tiefliegenden Augen, die hohen Wangenknochen und den Mund mit den geschwungenen Lippen kannte Sasha schon von dem Foto. Die Blicke der Männer waren eindringlich auf sie gerichtet. Jetzt hoben sich bei beiden die Mundwinkel zum Ansatz eines kleinen Lächelns.
«Warum … warum wart ihr nicht bei den Interviews?», stieß Sasha atemlos heraus. Sie spürte, wie wild ihr Herz schlug. «Ich habe die ganze Zeit auf euch gewartet.»
Das Lächeln der beiden verbreiterte sich ein wenig. Sie lehnten mit den Schultern an der hinteren Wand der Kabine, die Hüften leicht vorgeschoben, auf Sasha zu. Die Daumen hatten sie in die Jeanstaschen eingehakt.Sie sagten immer noch nichts, sondern blieben lächelnd an der Wand stehen, bis die Kabine mit einem Ruck auf Sashas Etage anhielt.
Wie in Trance trat Sasha aus der Kabine, dann ging sie den Flur hinunter zu ihrem Büro. Instinktiv wusste sie, dass die beiden ihr wortlos folgten. Nachdem sie hinter ihnen ihre Bürotür verriegelt hatte – es war seltsam, aber alle anderen auf ihrer Etage schienen gegangen zu sein –, schaltete Sasha ihre Schreibtischlampe ein.
Während sie nervös vor ihrem Aktenschrank stand, sah sie atemlos zu, wie sich die beiden mit einer Vertraulichkeit, als wären sie hier zu Hause, in den Ledersesseln vor ihrem Schreibtisch niederließen.
«Hab keine Angst, Sasha», sagte der eine von ihnen mit einer so wohlklingenden tiefen Stimme, dass Sasha erst beim zweiten Nachdenken begriff, dass er Engländer war. «Wir wissen, dass du uns erwartet hast.»
Sasha starrte ihn einen Moment lang an und legte sich dann darauf fest, dass er der Mann sein musste, der auf dem Foto auf dem Schemel gesessen hatte, während der andere hinter ihm gestanden und ihm ans Geschlecht gegriffen hatte. Sie hätte ihre Annahme gern mit dem Foto bestätigt, aber Charlotte hatte es an sich genommen.
Der Mann, der gesprochen hatte, lehnte sich im Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. Mit einer knappen Kopfbewegung warf er die schwarzen Locken zurück. «Wir haben lange Zeit darauf warten müssen», sagte er und wies auf sich und seinen Kollegen.
Sasha wusste nicht genau, worauf sie so lange hatten warten müssen, aber die Wirkung der warmen, schwingenden Stimme, deren Akzent viel ungekünstelter klang als Pauls, war wie Opium für ihre Sinne. Sie dachte nichtan die Unmöglichkeit dieser Begegnung, sie nahm gebannt wahr, dass sie mit jeder Sekunde erregter wurde. Das Verlangen rann wie flüssiges Feuer durch ihr Blut.
«Wie kann ich euch nennen?» Sie hörte, dass ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.
«Sage John zu mir», bot derjenige an, der bisher gesprochen hatte, und dann fügte der andere hinzu: «Und ich bin Jack.»
Sasha starrte sie offenen Mundes an. Das Blut rauschte durch ihre Adern, und in ihren Ohren donnerte es. Irgendwie hörte sie etwas rascheln – konnte es ein Flügelschlagen sein?
«Ihr kommt mir bekannt vor», hauchte sie und ging ein, zwei Schritte auf sie zu, um sie im Licht der Schreibtischlampe – die einzige Lichtquelle in ihrem Büro – besser sehen zu können. «Mir ist, als ob ich euch kenne.» Zögernd streckte sie eine Hand aus und fuhr mit einem Finger staunend über Johns Gesicht. Er sagte nichts, saß nur still da, während Sasha aufgerichtet vor ihm stand und mit dem Finger sanft über seine Augenbrauen strich, über die kräftige, gerade Linie seines Nasenrückens, über den hohen Ansatz seiner Wangenknochen.
Es war, als wollte sie jede Einzelheit des Gesichts in sich aufnehmen. Der Finger strich behutsam über die volle, sinnlich geschwungene Oberlippe.
John lehnte sich noch weiter im Sessel zurück und schloss die Augen, während sich die Lippen ein wenig öffneten. Die Zungenspitze lugte durch die Öffnung und leckte über Sashas
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