Unsterbliche Lust
weiß auch, was du sagen willst – dass ich zu viel gearbeitet habe, dass ich nach dem langen Casting im Sessel eingeschlafen bin und alles nur eine törichte Tagträumerei ist. Aber ich sage dir, ich weiß, dass es wirklich geschehen ist!»
Xenia sagte eine Weile nichts, schob nur die Salatreste auf ihrem Teller hin und her. Schließlich atmete sie durch und begann: «Sasha, du hast immer schon eine lebhafte Phantasie gehabt. Als wir noch Kinder waren, hast du Geschichten über Elfen erfunden, die du gesehen haben wolltest, du hast Gespenster gehört und jahrelang darauf beharrt, dass du adoptiert seist und deine richtigen Eltern von der russischen Zarenfamilie abstammten. Ich schwöre, dass du irgendwann angefangen hast, diese Geschichten selbst zu glauben.»
Sasha errötete. «Ja, ich weiß», murmelte sie und langte nach ihrem Weinglas. «Ich weiß, dass du eine rationale Erklärung für alles findest. Warum erzähle ich dir überhaupt meine Erlebnisse, wo ich doch längst erfahren habe, dass du sie mir ausreden willst.»
«Nun komm schon, Mädchen, du weißt ganz genau, dass ich versuche, dich vor deinem wilden Selbst zuschützen», sagte Xenia lächelnd, faltete die Serviette zusammen und schob sie unter ihren Teller. «Du glaubst doch, dass ich ehrlich zu dir bin, oder? Ich meine, du sagst mir immer ehrlich deine Meinung – und oft genug tut sie weh.» Ihr Lächeln wurde herzlicher. «Liebes, wenn du glauben willst, dass dich zwei engelgleiche Liebhaber besucht haben, dann werde ich dir das nicht ausreden. Ich versuche nur, dir aufzuzeigen, dass es eine vielleicht enttäuschende, weil eher gewöhnliche Erklärung dafür gibt.» Xenia drehte sich um und winkte der Kellnerin. «Können wir uns die Dessertkarte mal ansehen, bitte?»
«Ich nehme an, du hältst es auch nicht für möglich, dass ich Amelia Ashers Stimme gehört habe», sagte Sasha spitz und starrte auf die Dessertkarte. «Du wirst sagen, ich hätte den Wind oder den Regen gehört oder sonst irgendein Klischee.» Dann fügte sie mit Triumph in Stimme und Augen hinzu: «Aber es war ein warmer, lauer Sommertag, es hat nicht geregnet, und es gab keinen Wind.»
«Lass mich noch einen Blick auf das Foto werfen», sagte Xenia abrupt, ohne auf Sashas letzte Aussage einzugehen. Sasha reichte ihr die Probeaufnahme der beiden jungen Männer, die sie nun als John und Jack kannte.
Xenia betrachtete das Bild schweigend. «Und du sagst, dass sie es dir auf den Schoß gelegt haben, denn du hast dieses Bild zuletzt gesehen, als Charlotte es mit den anderen Probeaufnahmen in ihre Aktentasche gesteckt hat.»
«Genauso ist es», bestätigte Sasha und blickte der Freundin in die Augen. «Und wie, Miss Detective, erklärst du dir diese Tatsache? Wie kommt dieses Bild drei Etagen hoch – von Charlottes Büro auf meinen Schoß?»Ihre Hand schnappte vor und riss das so geschätzte Bild der verdutzten Xenia aus den Fingern.
Xenia schüttelte den Kopf ob des Eifers der Freundin, aber dann hob sie die Schultern. «Wir bestellen uns noch einen Nachtisch, ja? Ich gebe auf. Es ist
deine
Geistergeschichte, und ich will sie dir nicht ausreden. Sollen wir uns einen
Mississippi Mud Pie
teilen?»
«Kommt gar nicht in Frage», widersprach Sasha. «Ich nehme den
Brownie Supreme
und dazu eine Extraportion Schokoladensoße, und ich werde das ganze Ding allein verputzen.»
Nachdem die Kellnerin die Desserts gebracht hatte, wandte sich Sasha wieder an die Freundin. «Ende der Woche kommt Paul wieder nach New York.»
«Schon wieder!» Xenia sah überrascht auf. «Was will er denn diesmal?»
«Es hat natürlich mit der Arbeit zu tun», sagte Sasha lachend und stieß die Freundin knuffend an. «Mit sonst gar nichts, wenn du es genau wissen willst.»
Dann wurde sie plötzlich ernst. «Es ist schon ganz gut, dass er kommt, denn ich habe übers Wochenende nachgedacht, und Paul soll es von mir selbst hören, denn es betrifft ihn und meine Arbeit für ihn ebenso wie Valerie.» Sie leckte den letzten Rest der Soße vom Löffel ab und fügte hinzu, wobei sie die Freundin ansah: «Und dich betrifft es irgendwie auch.»
Xenias Blick verriet Argwohn. «Ach? Und was könnte das sein?», fragte sie lauernd.
«Nun …», begann Sasha zögerlich, sah dann der Freundin aber tapfer ins Gesicht und stieß fast trotzig hervor: «Ich will ein paar Wochen zusätzlichen Urlaub nehmen.»
Sasha erwartete von der verantwortungsbewussten Xenia eine deutliche Reaktion der Fassungslosigkeit, und
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