Unsterbliche Lust
kleine, uralte Kapelle sehen, die auf einem sanften Hügel stand.
Gebannt schritt Sasha die Grabreihen durch. Viele Inschriften waren nicht mehr oder nicht mehr gut zu lesen, aber bei einigen war der Text gut erhalten geblieben. Die Gräber stammten aus dem siebzehnten, einige aus dem achtzehnten Jahrhundert. Auf einigen Grabsteinenthronten Engel und Heilige, viele waren aus Marmor. Sasha gefiel die Schlichtheit der Kreuze.
Es war Sasha, als müsste es so sein, als hätte sie sich nichts anderes gewünscht, als in der Kühle des Herbstes über einen privaten Friedhof zu gehen, den sie hinter einen geheimen Tür entdeckt hatte. Sasha vergaß ihre Suche nach dem geheimnisvollen Ballsaal, so sehr wurde sie von der stillen Ästhetik der Grabmale in den Bann gezogen.
Aber warum war sie hergeführt worden? Seit kurzem glaubte Sasha fest daran, dass übernatürliche Kräfte ihr halfen, und diese Kräfte mussten es auch gewesen sein, die sie auf diesen Friedhof geführt hatten.
Viele der Toten, die hier bestattet worden waren, hatten der Familie Asher angehört. Nach einigem Suchen fand sie schließlich auch Amelias Grab, es lag neben dem von Lord und Lady Asher und hatte eine schlichte Inschrift: «Hier ruht Lady Amelia Asher, geliebte Tochter, 1776 – 1795.»
Sasha starrte mit vor Tränen blinden Augen auf die kniende Heilige auf dem Grabstein. Die Statue trug einen Umhang, dessen Kapuze ihr Gesicht fast ganz verdeckte. Bei Sasha flossen unentwegt die Tränen.
Nach einer Weile wandte sie sich zum Gehen, denn sie hatte das Gefühl, dass sie jetzt wusste, warum sie zum Friedhof geführt worden war. Aber dann fegte ein plötzlicher Windstoß über den Friedhof, Laub wirbelte auf, und Sasha zuckte zusammen, als sie glaubte, ihren Namen gehört zu haben.
Sie riss die Augen weit auf, aus Überraschung und Erschrecken gleichermaßen, und dann sah sie neben einem Grab weiter hinten eine schemenhafte Gestalt stehen.Irgendwie hatte sie den Eindruck, die Gestalt winke sie heran.
Sasha bewegte sich in diese Richtung, ohne es eigentlich zu wollen. Der Wind blähte wieder auf, die Blätter sausten durch die Luft, und ihre Haare wurden zerzaust und vor ihr Gesicht geblasen.
Er war genauso gekleidet wie auf dem Porträt der Amelia Asher und wie sie ihn im Fenster vor ihrem Schlafzimmer und im Schaufenster des New Yorker Reisebüros gesehen hatte, ein derbes Wollhemd, Lederweste, weite braune Breeches, schwere Arbeiterstiefel.
Als Sasha ihm so nahe war, wie sie sich traute, konnte sie sein Gesicht deutlich sehen, auch die Partien, die auf dem Bild im Schatten lagen. Nein, er war doch nicht den beiden Models ähnlich, die sie in ihrem Büro erlebt hatte, dachte sie, als sie sein Gesicht genau musterte. Seine Lippen waren voller, seine Haare ein wenig dunkler, und seine Augen lagen nicht so tief in den Höhlen.
Er betrachtete sie gelassen, und sie glaubte, ein leises Lächeln zu bemerken, als sie ihm in die Augen schaute. Ihre Angst verflog, und sie spürte, wie sie ganz ruhig wurde, und ein innerer Friede breitete sich in ihr aus. Sie sah ihn lange an, dachte an nichts als den Wind und die Blätter, aber als ein Vogel plötzlich von einem nahen Baum herunterschwebte und vor ihr im Laub raschelte, zuckte sie zusammen. Sasha sah zum Vogel hin, und der Zauber war gebrochen.
Als sie den Blick wieder aufrichtete und zu dem geheimnisvollen Fremden schauen wollte, war er weg. Verwirrt trat sie an die Stelle, wo er gestanden hatte.
Er hatte vor einem kleinen, verwitterten Grabstein gestanden, das Grab hatte keine Einfassung, und derGrabstein war auch nicht wie viele andere aus Marmor. Trotzdem konnte sie die Inschrift noch entziffern, als sie näher trat. «Maria Blakeley, Hopewell, 1702 – 1745».
Sasha starrte ein paar Minuten auf den schlichten Grabstein, dann drehte sie sich um und ging zu der schweren Holztür zurück. Sie trat in den kalten Mauergang. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie die Tür hinter sich wieder verriegelte und durch die Öffnung in der Attrappenwand schlüpfte. Erleichtert atmete sie auf, als sie wieder in der Bibliothek stand.
Sie wischte ein paar Blätter von ihrem Pullover und ging langsam in die Hotelbar, wo sie sich einen doppelten Whisky bestellte, während sie ihre nächsten Schritte überlegte.
Sie hatte dem Barmann gerade signalisiert, dass sie noch einen Doppelten haben wollte, als jemand zu ihr trat. Ihr Kopf ruckte zur Seite. Sasha freute sich, als sie Claire neben
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