Unsterbliches Verlangen
noch aneinander, denn sonst hätte er jetzt die Wachen auf sie aufmerksam gemacht - sofern das noch nicht geschehen war.
Wenige Momente standen sie stumm da und rangen um Atem. Dann zog Chapel sich langsam aus ihr zurück und stellte Pru wieder auf den Boden. Sie schwankte leicht, während er sich seine Hose wieder zuknöpfte.
Dann lachte sie leise und kehlig. »Ich kann nicht glauben, dass wir das getan haben!«
»Wer ist da?«
Nun war es Chapel, der unweigerlich lachen musste, als die Palastwache sich ihnen näherte. Der Mann blinzelte in die Dunkelheit. Ein paar Schritte noch, und er würde sie sehen. Pru trat rasch vor, schmiegte sich an Chapel und legte die Arme fest um ihn.
Als die Wache in ihrer Ecke ankam, flogen sie bereits wieder nach Hause.
Kapitel 19
Sie starb.
Pru hatte sich vor langem schon der Gewissheit gestellt, dass sie jung sterben würde. Seit sie alt genug war, um den Tod überhaupt zu begreifen, wusste sie, dass sie ebenso wie jedes andere menschliche Wesen auf der Welt eines Tages sterben müsste.
Die Ärzte sagten ihr lediglich, bei ihr wäre es früher, als sie erwartete. Und inzwischen verriet ihr der Tumor in ihrem Bauch, dass es sehr bald sein würde.
Ihre Zeit auf Erden ging zu Ende, genau wie das Jahrtausend, und sie bezweifelte, dass sie den Anfang des nächsten noch miterleben würde. Genau genommen bezweifelte sie sogar, dass sie in diesem Jahr noch den Weihnachtsbaum mitschmückte.
Seltsam war allerdings, wie sachlich und ruhig sie neuerdings war, wann immer ihr diese Gedanken kamen. Sie entsprachen der Wahrheit, die sich nicht leugnen ließ. Nichtsdestoweniger wünschte sie sich nach wie vor, sie könnte etwas daran ändern. Und sie hörte nicht auf, von einem Wunderheilmittel zu träumen, das es ihr ermöglichte, ein normal langes Leben mit ihrer Familie zu führen - und mit Chapel. Und da sie schon ehrlich war, was ihre Sterblichkeit betraf, könnte sie es ebenso gut auch in jeder anderen Beziehung sein.
Sie wollte vor allem für Chapel leben, mehr noch als für ihre Familie. War das falsch von ihr? Sündigte sie, wenn sie sich ausmalte, wie er zu ihr kam und ihr sein Blut gab, wie sie ihm ihres gegeben hatte? War es vermessen, dass sie sich wünschte, ihm gleich zu werden?
Es konnte doch nicht falsch sein, dass sie die Ewigkeit mit dem Mann verbringen wollte, dem sie ihre Unschuld geschenkt hatte, den sie liebte.
Diese Erkenntnis war ungleich niederschmetternder als ihr eigenes Ableben.
Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der noch lange nach ihrem Tod weiterexistieren würde. Einen Mann, der Jahrhunderte vor ihr geboren worden war. Selbst wenn sie Kinder bekommen könnte, war er nicht der Mann, der sie zeugen konnte. All das wusste sie, doch es war nicht entscheidend. Wenn sie an Chapel dachte, dachte sie nicht an einen Vampir. Vielmehr sah sie den Mann vor sich, der es anscheinend genoss, sie zum Lächeln zu bringen, der sie nicht behandelte, als wäre sie aus Glas. Er gab ihr das Gefühl, etwas Besonderes, die einzige Frau auf der Welt für ihn zu sein.
Sie würde ihn immer lieben, ganz gleich, was er war.
Eine Woche war vergangen, seit sie sich im Hof von Buckingham Palace geliebt hatten. Bis heute musste Pru schmunzeln, wenn sie daran zurückdachte. Das war eine Erinnerung, die Chapel für eine ganze Weile bewahren würde, wenn nicht gar auf ewig. Überhaupt hatten sie gemeinsam einiges an Erinnerungswürdigem erlebt.
Chapel verwöhnte sie maßlos, indem er ihr jeden noch so verrückten Wunsch erfüllte. Was sie auch wollte, was ihr auch wichtig war, er gab es ihr. In manchen Nächten flogen - flogen! - sie in andere Landesteile, damit Pru Seiten der englischen Kultur kennenlernte, von denen sie bisher kaum etwas wusste. In anderen Nächten blieben sie in der Nähe des Anwesens und fuhren im Daimler ihres Vater herum. Inzwischen war Pru schon recht passabel im Fahren - das fand selbst Chapel. Oder wenigstens sagte er ihr nicht mehr dauernd, sie solle langsamer fahren oder auf die Straße sehen.
Ihre Familie erwies sich als erstaunlich offen, was Chapel betraf. Sie behandelten ihn wie jeden anderen, obwohl sie wussten, dass er wohl kaum ungewöhnlicher sein könnte als ihre üblichen Gäste. Ihre Schwestern, die normalerweise längst in ihre eigenen Häuser zurückgezogen wären, blieben. Vielleicht hatten sie Angst, sie zu verlassen, falls sie in ihrer Abwesenheit starb, oder sie wollten ihr nicht den Eindruck vermitteln, dass es vollkommen in
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