Unsterbliches Verlangen
hinzu, »wirklich beschützen.«
Ihre Schwestern beschworen Bilder herauf, die Pru gar nicht in den Sinn gekommen waren. Beeindruckende Bilder - und rührende.
Nicht zu vergessen: beängstigende.
»Es ist ausgeschlossen«, erklärte sie ihnen knapp, weil sie keine falschen Hoffnungen in ihnen wecken wollte. »Chapel wird es nicht tun. Ich sterbe, damit müssen wir uns abfinden.«
»Vielleicht«, sagte Caroline mit einem überraschend strengen Funkeln in den Augen, »aber das heißt nicht, dass es uns gefallen muss.«
Pru lachte kurz auf, und es war ein verbitterter, harscher Laut. »Glaub mir, Caro, niemandem gefällt das weniger als mir.«
Chapel war frisch gebadet, hellwach und voller Vorfreude, als er an diesem Abend in die Bibliothek ging, um Pru zu treffen. Er hatte einen Brief von Molyneux erhalten, aus dem hervorging, dass der Priester und Marcus dank ihrer zahlreichen Kontakte den Silberhandorden so gut wie aufgespürt hatten. Auch war Molyneux zuversichtlich, Bishop für ihre Sache gewinnen zu können. Bishop jagte seit Jahrhunderten menschliche und übermenschliche Monstren, und wenn jemand den Orden dingfest machen konnte, dann er.
Diese Neuigkeiten waren erfreulich und nahmen Chapel eine schwere Last von den Schultern. Entsprechend wohlgemut näherte er sich der Frau, die auf dem Sofa auf ihn wartete.
»Was würdest du heute Abend gern unternehmen?« Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit freute Chapel sich richtig darauf, einen Abend in Gesellschaft zu verbringen. Mit Pru an seiner Seite fürchtete er die Menge nicht. Und mit Prus Blut in sich hatte er nicht das Gefühl, an all den Düften von Leben, Hoffnung und Angst zu ersticken.
Pru sah zu ihm auf und klopfte auf den Platz neben sich. Sie wirkte müde und hatte dunkle Schatten unter den Augen. »Ich dachte, wir könnten vielleicht einfach zu Hause bleiben.«.
Selbst wenn sie nicht erschöpft und zerbrechlich ausgesehen hätte, wäre ihm ihr Zustand spätestens bei diesen Worten klargeworden. Pru wollte nie »einfach zu Hause bleiben«. Pru wollte ausgehen, Dinge tun und sehen. Pru wollte das Leben vollständig auskosten und weckte in ihm den Wunsch, bei ihr zu sein, während sie es tat.
Zwar arbeiteten sein Herz und seine Lunge nicht wie die eines Menschen, reagierten jedoch ziemlich ähnlich. Und nun, da er erkannte, dass es ihr schlecht ging - dass ihr Leben sich dem Ende näherte , wurde sein Brustkorb eng, und sein Herz stand still. Bis er daran dachte, dass auch er nicht mehr lange auf Erden sein könnte. Falls die Chance bestand, dass sie im nächsten Leben am selben Ort sein könnten, würde er mit ihr sterben.
Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Ihre Finger waren kalt, und das machte ihm Angst. »Hattest du heute eine Schmerzattacke?« Er hasste es, dass es Stunden gab, in denen er nicht über sie wachen konnte.
Als sie den Kopf schüttelte, wippten kleine dunkelroten Locken um ihre Wangen. »Nein, ich bin nur müde. Ich glaube, die letzten paar Wochen waren ein bisschen zu viel Abenteuer und Aufregung für mich. Das bin ich nicht gewohnt.«
War das alles, oder gab es da noch mehr? Sein Gefühl sagte ihm, dass sie nicht log, aber aus irgendeinem Grund kam es ihm auch nicht ganz wahr vor. Ihr Duft verriet nichts, andererseits war er, seit er ihr Blut nahm, mehr auf ihre Essenz eingestimmt als auf ihre Krankheit.
»Bist du sicher, dass das alles ist?«
Ihre Finger schlossen sich um seine. »Mir geht es gut, Chapel, ehrlich.«
Er entschied, ihr zu glauben, wenngleich er es vor allem deshalb tat, weil er wollte, dass es stimmte, nicht weil er wirklich davon überzeugt war, dass sie ihm die Wahrheit sagte.
Dann sah er sich auf den Regalen nach Büchern um, die ihr gefallen könnten. Die Titel konnte er mühelos vom Sofa aus lesen. »Möchtest du, dass ich dir vorlese?«
Pru wechselte ihre Position, indem sie sich auf die Couch legte, ihren Kopf in seinem Schoß. Dabei hielt sie seine Hand fest, als fürchtete sie, er könnte sie verlassen.
Er würde nirgends hingehen. Heute Abend nicht und lange Zeit nicht. Für den Rest ihres Lebens würde er bei ihr bleiben, falls sie es wünschte.
»Erzähl mir von deinem Leben!«, sagte sie und schloss die Augen. »Das interessiert mich mehr als irgendein Buch.«
Mit seiner freien Hand begann Chapel, die Nadeln aus ihrem Haar zu zupfen. Er liebte ihr Haar, liebte es, zu sehen, wie es offen um ihr Gesicht und über ihre Schultern fiel. Das Kastanienbraun war so kräftig, so
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