Unsterbliches Verlangen
war, wurde ihm sofort klar, dass sie starb.
Wie der Blitz war er bei ihr und hob sie sanft in seine Arme. Ihre Augen blieben geschlossen, und ihre Lippen waren so farblos wie ihre Wangen. Ein dünner Schweißfilm glänzte auf ihrer Haut, und sie fühlte sich klamm an.
Aber er konnte keine Verletzung erkennen, kein Anzeichen eines Kampfes. Damit rechnete er allerdings auch nicht, nachdem er erst ihr Blut gerochen hatte. Temple hatte ihr das nicht angetan, nicht direkt zumindest. Der Tote neben Pru hatte weniger Glück gehabt. An ihm haftete Temples Geruch, folglich hatte Chapels Gefährte ihn getötet.
Ein Schütteln durchfuhr Prus schmalen Körper. Sie rang nach Atem, und es klang wie das zittrige, hölzerne Klappern einer Kinderrassel.
Panik ergriff ihn. Sie durfte nicht sterben. Das durfte sie nicht - nicht so! Er drückte eine Hand auf ihre Brust. Ihr Herz hatte Mühe zu schlagen, aber es schlug immerhin.
Das Geräusch von reißendem Stoff hallte durch die entsetzliche Stille, ehe Chapel den Pfeil aus Prus Brust zog. Zurück blieb ein hässliches rotes Mal, aus dessen Mitte sich feine Fäden in alle Richtungen ausdehnten. Stirnrunzelnd roch Chapel an der Pfeilspitze und schloss die Augen, weil ihm übel wurde. Er kannte diesen Geruch.
Gütiger Gott!
Dieses Gift war ihm vertraut. Es war selten, sehr alt und schwer zu bekämpfen. Kreaturen wie Vampire oder Werwölfe vermochte es zu lähmen, und für Menschen war es tödlich. Er wusste es, weil es dasselbe Gift war, das ihn in jener Nacht beinahe umgebracht hatte, als sie den Blutgral gefunden hatten.
Er kannte nur ein einziges Gegengift, und das war sein Blut.
Nein, vielleicht gab es noch einen anderen Weg.
Der Tagesanbruch stand unmittelbar bevor. Er könnte sich im Gang hinter dem Wandteppich verbergen, aber das kam für Pru nicht in Frage. Wenn er noch länger wartete, würde sie hier sterben, und er könnte nichts dagegen tun.
Ihm blieb nur, zu beten, dass das, was er tun würde, ausreichte, um sie zu retten.
»Bitte!«, flüsterte er, während er den Kopf neigte und seine Reißzähne sich aus dem Kiefer schoben. »Bitte!«
Er betete um Kraft, als er seine Zähne in Prus zarte Brust senkte, an der Stelle, an welcher der Pfeil eingetreten war. Seine einzige Chance war, ihr eine größere Wunde zuzufügen, um möglichst schnell möglichst viel Gift hinauszusaugen. Er sog mit enormer Kraft und nahm ihr bitteres, vergiftetes Blut in sich auf. Bei jedem Schluck würgte es ihn, dennoch trank er weiter, bis er nichts mehr von dem Gift schmeckte, sondern nur noch ihr süßes wunderbares Blut.
Als er schließlich den Kopf hob, war sie noch bleicher. Die Wunde klaffte hässlich auf ihrem Busen, doch er hatte den Blutfluss mit einem Zungenstrich gestoppt. In vierundzwanzig Stunden wäre nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen.
Vorausgesetzt, er schaffte es, sie zum Anwesen zurückzubringen, zu Molyneux, der wissen würde, was zu tun war. Sie brauchte frisches Blut, weil er ihr zu viel entnehmen musste. Und sie brauchte Kräuter und Medizin. Molyneux würde sie retten.
Mit Pru in den Armen stand Chapel auf. Die Wirkung des Gifts würde bald einsetzen, also durfte er keine Zeit verlieren. Zwar brächte es ihn nicht um, doch er bekäme furchtbare Schmerzen.
Er hielt Pru mit einem Arm, riss eine Decke vom Bett und drapierte sie sich über den Kopf. Einen Zipfel klemmte er zwischen sich und Pru, damit die Decke nicht verrutschte.
Dann rannte er los, die Treppe hinauf in den anbrechenden Morgen. Er lief so schnell, wie seine Füße es erlaubten. Das Gift machte ihn bereits langsamer und unsicher, doch er schaffte es, sich aufrecht zu halten.
Die Sonne lugte über den Horizont und traf ihn mit brutaler Wucht. Er stolperte, richtete sich wieder auf und rannte weiter.
Jede Sekunde war mörderisch, die er durchs Gras der taufeuchten Wiese lief. Sein Körper schien in Flammen zu stehen, und er konnte nicht einmal sagen, ob das Feuer ihn von innen nach außen oder umgekehrt verschlang. Alles, was er fühlte, war, wie seine Haut unter der Decke und seiner Kleidung versengt wurde.
Wie sollte er es bis zum Herrenhaus schaffen? Er würde genauso explodieren wie Dreux seinerzeit. Er würde in Abermillionen kristallener Scherben zerspringen und gen Sonne katapultiert werden.
Einzig die Tatsache, dass er Pru bei sich hatte, trieb ihn an, die brennenden Füße weiterzubewegen. Allein an sie zu denken gab ihm die Kraft, den entsetzlichen, tödlichen Schmerzen zu
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