Unsterbliches Verlangen
trotzen.
Er würde es schaffen!
Wie er es fertigbrachte, von unten auf den Balkon vor Molyneux' Zimmer zu springen, wusste er selbst nicht. Es war, als höbe ihn eine unsichtbare Hand hoch und stellte ihn dort ab. Vielleicht war es das Blut, das er von den Prostituierten genommen hatte, vielleicht die Angst um Pru - oder vielleicht auch das Werk von Gott oder Satan. Aber irgendwie gelang es ihm, sie beide ins Zimmer des Priesters zu bringen.
Marcus war ebenfalls dort. Sie hatten das Bett für Pru vorbereitet. Molyneux bekreuzigte sich, als er Chapel sah, während Marcus ihn entgeistert anstarrte. Mit seiner überall verbrannten Haut und den irren Augen musste er furchterregend aussehen.
Marcus übernahm Pru in dem Moment, in dem Chapel auf dem Teppich zusammenbrach.
»Hilf ihr!«, flehte Chapel den alten Priester an und kroch zu dem großen Schrank an der gegenüberliegenden Wand. Es war der einzige Ort, wo er sich vor dem Morgenlicht verstecken konnte, das gnadenlos ins Zimmer leuchtete und ihn röstete.
»Sie ist vergiftet. Temples Gift. Sie braucht Blut.« Mit allerletzter Kraft hievte er sich in den Schrank, ohne darauf zu achten, was er hier alles unter sich zerquetschte.
»Rette sie!«
Molyneux nickte, und Chapel wusste, dass sein alter Freund ihn nicht im Stich lassen würde. »Wer wird dich retten, mon ami?«
Chapel antwortete nicht. Ein letztes Mal noch sah er zu Pru, die zerbrechlich und bleich auf dem Bett des Priesters lag. Marcus rollte bereits seinen Ärmel hoch, um Pru von seinem Blut zu geben. Wenn das alles hier überstanden war, würde Chapel ihn grün und blau prügeln, weil er Pru allein in den Keller gebracht hatte. Offenbar traute der junge Mann ihm nicht.
Oder er wollte Pru die Wahl lassen, von dem Blutgral zu trinken, falls er dort sein sollte. Dummer, dummer junge ! Aber um ihn kümmerte er sich später.
Chapel zog die Schranktür zu und sperrte sich in die segensreiche Dunkelheit. Ihm war schwindlig, und sein Kopf dröhnte. Sein ganzer Körper pochte vor Schmerzen, aber das Feuer der Morgenröte konnte ihm nichts mehr anhaben.
Der Einzige, der ihn retten könnte, war er selbst. Er musste seine eigene Kraft aufbieten und sich mittels seiner Willenskraft hellen. Falls nicht, könnten ihn Gift und Morgenlicht zusammen umbringen. Er musste sich trotz der Schmerzen an seine Existenz klammern, trotz des Friedens, den der Tod versprach.
Und das würde er, denn nach Jahrhunderten, in denen er sich den Tod herbeigesehnt hatte, gab es erstmals etwas, für das er leben wollte.
Chapel wollte ihr Gesicht noch einmal wiedersehen.
Kapitel 13
Unser Vater muss einen Plan haben, mon ami, dich weiterleben zu lassen, comprenez vous?«
So seltsam es auch anmutete, Chapel verstand ihn und pflichtete Molyneux bei. Er würde nicht sterben. Er wollte nicht sterben. Nach Jahrhunderten wollte er erstmals sehr gern leben, selbst wenn es bedeutete, für eine Welle Höllenschmerzen zu ertragen.
Die schlimmste Pein war inzwischen überstanden. Einen Großteil des Tages hatte Chapel in Molyneux' Schrank verbracht und sich mit Schlaf und Dunkelheit kuriert. Die Version für ihre Gastgeber lautete, dass Chapel lediglich an seiner »Sonnenallergie« litt, was sie leider nicht davon abhielt, fortwährend an die Tür zu klopfen und sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Jedes Mal rissen sie Chapel aus dem Schlaf und versetzten ihn in einen wilden Alarmzustand. Das war dem Heilungsprozess natürlich abträglich, weshalb Molyneux den Raum schließlich für einige Stunden verließ. Er brachte die Familie auf den neuesten Stand hinsichtlich Chapels Zustand und gab klare Anweisung, dass keine Bediensteten in sein Zimmer durften. Er ging sogar so weit, die Tür zu verriegeln, wofür Chapel ihm dankbar war. Es wäre schon schwierig genug, sein Aussehen zu erklären, vom Mord an einem der Ryland-Bediensteten ganz zu schweigen.
Molyneux kümmerte sich um ihn, wie er es im Laufe ihrer Partnerschaft schon viele Male getan hatte.
Dann und wann erschreckte der Anblick Francois Molyneux' Chapel regelrecht. Wenn er ihn ansah, erwartete er, denselben jungen Priester mit dem rosigen Gesicht zu sehen, der ihm damals zur Bewachung zugeteilt worden war, als handelte es sich bei Chapel um ein ungezogenes Kind oder ein exotisches Haustier. Und Chapel hatte die Kirche in dem Glauben gelassen, sie könnten ihn und seine Mitvampire im Zaum halten. Währenddessen betete er, sie könnten es notfalls tatsächlich.
Molyneux war
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