Unter aller Sau
Hauch von einem Wort, so dass Gisela schon nachfragen wollte. Ionela räusperte sich, ihr Oberkörper richtete sich auf. »Danijela«, wiederholte sie mit kräftigerer Stimme.
»Es tut mir sehr leid.«
Ionela nickte dankend. »Ihr … Ihr Kollege hat gesagt, sie wurde im Wald gefunden?«
»Ja.«
»Wie … was ist mit ihr passiert?« Ionela presste das Taschentuch in ihrer Faust zusammen.
Gisela wägte ihre Worte genau ab und reichte Ionela das Foto zurück. »Bevor ich in die Details gehe, müssten Sie die Frau identifizieren. Denken Sie, Sie schaffen das?«
Ionela zögerte kurz, nickte. Gisela stand auf, ging zur Tür. »Richie, bringst du Frau Andreikovici bitte zum Wagen?«
Richie schnellte in Giselas Büro, um sich der armen Ionela anzunehmen.
»Ich muss nur noch einen Anruf erledigen, dann komm ich«, sagte Gisela zu Ionela. »Schorsch, du müsstest in einer Stunde zu meinem Papa rausfahren, der braucht sein Mittagessen. Ist alles im Rohr. Ja?«
Schorsch nickte. Gisela machte die Tür zu, rief Lederer auf dem Handy an. Der hockte kaugummikauend im Wartebereich der Notaufnahme, umgeben von lädierten Männern und Frauen. Das Klingeln seines Handys brachte ihm böse Blicke ein. Nonchalant lächelte Lederer, dachte nicht eine Sekunde daran, den Raum während des Telefonats zu verlassen. »Ja, bitte?«
»Sind Sie schon zurück?«
»Dauert noch ein bisschen.«
»Wie lange?«
»Ich glaube nicht, dass Sie das was angeht.«
»Ich hab hier eine neue Entwicklung, und ich wär in einer guten Stunde in München, bei der Pathologischen.«
Lederer rutschte auf dem schwarzen Plastikstuhl unruhig hin und her. »Eine Stunde schaff ich nicht.«
Die Stationsschwester, untersetzt und in ihrem früheren Leben sicher mal Schwergewichtsringer, näherte sich mit drohender Miene dem Hauptkommissar. »Sehen Sie das Schild nicht?« Sie deutete auf ein durchgestrichenes Handysymbol, das direkt über Lederers Kopf an der Wand hing. »Das haben wir extra für die Leute hingehängt, die nicht lesen können.« Lederer deckte die Sprechmuschel schnell mit einer Hand zu, doch es war zu spät. Gisela hatte die Stimme laut und deutlich gehört.
»Wo sind Sie denn?«
»Unterwegs.«
»Sie machen jetzt sofort das Handy aus oder gehen vor die Tür, und zwar ganz nach draußen, vor die Pforte«, giftete die Stationsschwester weiter.
»Sie sind jetzt aber nicht im Krankenhaus, oder?«, wollte Gisela wissen. Lederer fummelte mit der freien Hand in der Innentasche seines Mantels nach seinem Dienstausweis. »Ich … äh, doch, aber es ist nichts Ernstes.« Er hustete extra laut und röchelnd ins Telefon, hielt der Stationsschwester gleichzeitig seinen Ausweis unter die Nase. Die zeigte sich unbeeindruckt.
»Noch schlimmer, so was wie Sie sollte eigentlich ein Vorbild sein.« Sie deutete auf die Tür. »Raus jetzt, aber sofort.«
Gisela bekam die Anordnungen so klar und deutlich mit, als stünde sie daneben. »Was für ein Krankenhaus ist das denn?« In ihr keimte ein böser Verdacht.
»Ich … ich muss Schluss machen, ich bin jetzt dran.«
»Ist das da, wo der Köhler hingebracht worden ist?«
Ein rhythmisches Tuten in der Leitung war die Antwort. Gisela legte fluchend auf. Dieser Saukerl. So was von unkollegial. Mit dem festen Vorsatz, ihren eigenen Weg zu gehen, fuhr sie mit Ionela zum rechtsmedizinischen Institut nach München.
Richie stand noch fünf Minuten nachdem Giselas Smart um die Kurve verschwunden war, vor der Polizeistation und hörte seinem Herzen beim Jubeln zu. Es war kein Zufall, dass ihm Ionela Andreikovici über den Weg gelaufen war, das war Schicksal. Sie war nicht nur eine engelhafte Gestalt, sondern auch noch die Schwester der Toten. Hier hatte eine göttliche Macht ihre Finger im Spiel, um ihn endlich vom Nektar der Liebe kosten zu lassen, so viel war Richie klar. Und dieser Nektar schmeckte besser als das dunkle Klosterbier am Freitagabend nach einer anstrengenden Woche.
Im rechtsmedizinischen Institut in München wurden Gisela und Ionela vom zuständigen Gerichtsmediziner abgeholt, um die Identifizierung Schneewittchens vorzunehmen. Nicht nur für Ionela war es der erste Besuch im Kühlraum eines solchen Instituts, auch Gisela fühlte die Kälte des weißgekachelten Raumes in ihre Knochen kriechen. Nur das leise Summen der Neonröhren war zu hören, als der Gerichtsmediziner die Leiche aus ihrem Kühlfach holte. Gisela, die eigentlich auf einen wenig schönen Anblick vorbereitet war, war überrascht,
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