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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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als sie die Leiche sah. Die Augenlider geschlossen, die Haut gereinigt, glich sie einer Schlafenden. Ionela starrte wie betäubt in das gräuliche Gesicht und auf den eingebrannten Namen über der rechten Brust. Seltsamerweise fing sie nicht an zu weinen, es schien fast, als hätte sie keine Tränen mehr. Gisela stand bereit, sie zu stützen, sollte sie einen Schwächeanfall erleiden.
    Ionela streckte die Hand nach dem Gesicht der Toten aus. Gisela warf dem Gerichtsmediziner einen fragenden Blick zu, ob sie das dürfe. Der Mann nickte. Ionelas Hand streichelte den Haarschopf der Toten. Zärtlich, so wie man ein Kind streichelt, damit es in Ruhe einschlafen kann und keine bösen Träume hat.
    Nachdem die Formalitäten der Identifizierung erledigt waren, traten die beiden Frauen an die frische Luft, wo sie der Alltag empfing. Motorenlärm, Fahrradklingeln, Kinderlachen, Hundebellen. Sie blieben einen Moment in der Sonne stehen, die Wärme vertrieb die Kälte schneller, als sie gekommen war. Ionela hielt eine Tüte in ihrer Hand, in der die wenigen Habseligkeiten ihrer Schwester waren, die sie bei sich gehabt hatte.
    »Der Name auf dem Oberkörper, Ionel, haben Sie den schon mal im Umfeld Ihrer Schwester gehört?«
    Ionela schüttelte den Kopf. »Als ich es gesehen habe, dachte ich zuerst, sie hätte nach mir gerufen, und ihr Schrei wäre abgerissen worden.« Sie atmete tief durch. »Danijela hätte so was nie machen lassen, sie hatte Angst vor Schmerzen. Es muss jemand gegen ihren Willen gemacht haben.«
    Sie schaute zu zwei schwangeren Frauen, die vor einem kleinen Café in der Sonne saßen.
    »Fahren Sie mit zurück, oder soll ich Sie irgendwohin bringen?«, fragte Gisela. Ionela reagierte zuerst nicht, so dass Gisela ihre Frage schon wiederholen wollte.
    »Ich bin froh, dass ich sie gefunden habe«, sagte Ionela. »Jetzt kann ich unseren Eltern sagen, wo sie ist.«
    Ihre Stimme klang fest, doch dahinter konnte Gisela den Schmerz spüren. Wie ein leises Tinnituspfeifen lag er unter dem Satz, und möglicherweise würde dieser Ton nie mehr ganz verschwinden.
    »Ich werde ihnen sagen, dass sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Ich werde ihnen versprechen, herauszufinden, was passiert ist. Es wird sie beruhigen.«
    »Wir werden Sie natürlich sofort benachrichtigen, wenn sich neue Erkenntnisse in den Ermittlungen auftun, darauf haben Sie mein Wort. Ich bräuchte dazu nur Ihre Telefonnummer und Heimatadresse.«
    Ionela schaute Gisela verwundert an. »Ich fahre nicht heim. Ich bleibe so lange in Ihrem Ort, bis diese Sache aufgeklärt ist.«
    »Das ist doch vollkommen unnötig, Frau Andreikovici …«
    »Vielleicht kann ich Ihnen sogar helfen.«
    »Ich …«
    »Bitte.«
    Es war keine flehentliche Bitte, sondern ein entschiedener Wunsch, in der Nähe zu bleiben. Gisela schoss durch den Kopf, dass sie an Ionelas Stelle genauso handeln würde. Sie schaute der jungen Frau prüfend in die Augen, die hielt dem Blick stand. Gisela lächelte.
    »Gut. Aber nur unter einer Bedingung. Sie wohnen bei mir.« Ionela war überrascht. »Ich will nicht, dass Sie Ihre eigene Tour fahren und uns ins Handwerk pfuschen.«
    »Eigene Tour fahren? Ich versteh nicht.«
    »Heißt, Sie überlassen der Polizei die Ermittlungen und spielen nicht Miss Marple, okay?«
    Ionela nickte.
    »Gut, fahren wir.« Die beiden Frauen marschierten zum Smart. »Können Sie eigentlich kochen?«, fragte Gisela.
    »Können, weiß nicht, aber ich koche gerne. Warum?«
    »Es kann sein, dass Sie für meinen Vater kochen müssen, falls ich wegen den Ermittlungen mal keine Zeit haben sollte.«
    »Gerne. Aber ich kann nur rumänisches Essen wirklich gut.«
    »Solang er sein Weißbier dazu hat, passt das schon.«
     
    Jakob lag auf der Couch und schnarchte leise. Schorsch hockte in der Küche am Tisch und blätterte durch die LIDL -Werbung des Wochenanzeigers, der jeden Montag ausgeliefert wurde. Er schaute auf, als Gisela und Ionela hereinkamen.
    Gisela warf durch die Wohnzimmertür einen kurzen Blick auf ihren Vater. »Was machst du denn noch hier?«, flüsterte sie zu Schorsch.
    »Ich hab mir gedacht, ich lass ihn besser nicht alleine. Er hat immer gefragt, wann die Mama heimkommt. Das war irgendwie unheimlich«, erwiderte Schorsch ebenso leise. Seine Augen schweiften kurz zu Ionela, die sich im Hintergrund hielt. »Nicht, dass der noch losmarschiert, um sie zu suchen, und dann nicht mehr heimfindet.«
    »Ganz lieb, Schorsch, aber jetzt gehst wieder an die Arbeit,

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