Unter aller Sau
Vorgehens war mehr als wahrscheinlich, eine Herabstufung und ein Eintrag in ihre Akte so gut wie sicher. Sie seufzte. Es war nicht zu ändern. Sie war bereit, die volle Verantwortung zu tragen, und wenn es ihren Kopf kosten würde. Hauptsache, ihre Männer kämen ungeschoren davon.
Sie wollte mit Schorsch sofort zur Dienststelle aufbrechen, um den Schaden zu begutachten und mögliche Spuren zu sichern. Erwin sollte sich derweil um die jungen Damen und Richie kümmern. Gisela brachte ihm das Jagdgewehr ihres Vaters. Auf seinen erstaunten Blick hin meinte sie nur, er müsse auf alles gefasst sein, was zur Folge hatte, dass Erwin erst einmal ein Weißbier wegzischte, um seine Nerven zu beruhigen. Danach verpasste er Richie die doppelte Dosis der verschriebenen Medikamente. Er betete, dass sein Freund und Kollege endlich aus dem Dämmerzustand aufwachen würde, um ihm zur Seite zu stehen.
Es dauerte keine fünf Minuten, da riss Richie die Augen weit auf, als hätte jemand sein Herz mit einem Defibrillator wieder zum Schlagen gebracht. Wie Dornröschen nach ihrem hundertjährigen Schlaf schaute er sich verwundert in der Runde um. Die jungen Damen starrten neugierig zurück. Erwin traten Tränen der Freude in die Augen, er fiel seinem Freund um den Hals, drückte ihn so fest, dass Richie die Luft wegblieb. Seine spröden Lippen bewegten sich, er hustete ein staubiges Wort hervor. Erwin ließ Richie los.
»Was hast gesagt?«
»Weißbier«, krächzte Richie erneut. Der goldene Gerstensaft war die Krönung der Wiederauferstehung des Polizeiobermeisters Richard Hafenrichter.
Rund um die Dienststelle hatte sich bereits das halbe Dorf versammelt, als Gisela und Schorsch dort eintrafen. Sollte es Spuren der Flüchtigen und ihrer Helfer gegeben haben, so waren sie im allgemeinen Trubel längst vernichtet. Gisela kletterte durch das Loch in die Zelle. Dort traf sie auf Franz Kramer, der mit seiner Spiegelreflex Fotos schoss.
»Was machst denn du da?«
»Spuren sichern.« Franz Kramer schob sein Kinn vor. »Oder wer soll das sonst machen?«
Gisela deutete auf das Loch.
»Du gehst jetzt schön wieder raus hier.«
»Ich bin noch nicht ganz fertig.«
»Raus! Und die Kamera bleibt bei mir.«
Sie streckte fordernd die Hand aus. Franz Kramer drehte sich etwas weg, so dass sie nicht nach seiner Kamera greifen konnte.
»Es waren Profis«, meinte er. »Ich hab draußen Überreste von Schwarzpulver entdeckt. Und hier drinnen haben sich die beiden Gefangenen mit Decken zugedeckt, damit sie nichts von dem ganzen Schotter abkriegen.«
Franz Kramer deutete auf die beiden Decken, die zusammengeknüllt in einer Ecke lagen.
»Einen hat’s aber trotzdem erwischt. Es sind Blutspuren an der Wand und an der Decke. Der muss geblutet haben wie ’ne Sau. Also, entweder die flicken den selber zusammen, oder die bringen ihn zu einem Arzt. Du solltest da vielleicht Alarm schlagen.«
»Danke für den Hinweis. Jetzt gib die Kamera her und geh zu den anderen.«
Gisela tolerierte viel, aber dass jemand aus der Bevölkerung Sheriff spielte, noch dazu der selbstherrliche Metzger Franz Kramer, das zerrte gewaltig an ihrem Geduldsfaden. Mit einem missmutigen Brummen holte Franz Kramer die Speicherkarte aus der Kamera und drückte sie Gisela mit einem giftigen Blick in die Hand.
»Ihr seid’s doch Amateure«, verabschiedete er sich.
Gisela steckte die Speicherkarte ein und begutachtete die Decke und die Wand der ehemaligen Zelle. Tatsächlich fand sich eine beträchtliche Menge Blut. Die rote Spur führte zu dem Loch und verlor sich im Schutt und Dreck, den die Explosion hinterlassen hatte.
Die Augen aller Umstehenden ruhten auf Gisela, während sie den Boden nach weiteren Hinweisen absuchte.
»So wird das nix.« Das war der Wirt vom Wilden Bock, der in seinem ausgewaschenen Trainingsanzug neben Franz Kramer stand. In seinem Mundwinkel klebte die Morgenzigarette, in der Hand hielt er ein Kaffeehaferl.
»Ich glaub, das müssen wir selber in die Hand nehmen.«
Franz Kramer sprang sofort auf den Zug auf. Er wandte sich an die anwesenden Niedernussdorfer.
»Ich tät sagen, wir besprechen uns drüben im Bock.« Franz Kramer deutete hinüber zum Wirtshaus. Er schenkte Gisela einen gehässigen Blick. »Hier haben wir eh nix verloren.«
»Was gibt’s denn da zu besprechen?«
Gisela ahnte, was der Metzger vorhatte. Er wollte seine angeborenen Führungsqualitäten unter Beweis stellen und Gisela zur passiven Beobachterin verurteilen. Er liebte
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