Unter aller Sau
diese Machtspielchen. Gisela hasste sie.
»Was zu tun ist«, erwiderte Franz Kramer. »Ich mein, das ist ein Anschlag auf uns alle gewesen. Da werden wir nicht ruhig zuschauen und Däumchen drehen.«
»Jetzt geh, Papa, das muss doch nicht sein.« Schorsch wiegte gequält den Kopf. »Wir machen das schon.«
»Ja, klar.« Franz Kramer pumpte die Faust zweimal in die Luft. »Auf geht’s, Niedernussdorfer, dem Gesindel zeigen wir’s.«
»Kaffee geht auf’s Haus!« Diese Ankündigung des Wirts wurde mit willkommenem Gemurmel aufgenommen, und ein Tross aus etwa dreißig Männern und Frauen setzte sich Richtung Wirtshaus in Bewegung. Schorsch warf einen hilfesuchenden Blick zu Gisela. Die hatte bereits ihr Handy in der Hand. Es war Zeit, die Hosen runterzulassen und Lederer einzuweihen, bevor der Mob sich erhob.
Unerwarteterweise tobte und schimpfte der Straubinger Hauptkommissar kein bisschen. Womöglich waren die aufgelisteten Verfehlungen Giselas zu zahlreich, um angemessen emotional zu reagieren. Erst als sie von der Bürgerwehr und deren Lagebesprechung im Wilden Bock berichtete, reagierte er in bekannter Art und Weise.
»Wenn auch nur einer dieser Dummbauern in die Richtung von Tomanovici furzt, nehm ich den ganzen Haufen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung hoch«, schnauzte er.
»Gilt der Begriff nicht nur für Organisationen, die politische Motive …«, setzte Gisela an, wurde jedoch jäh von Lederer unterbrochen.
»Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit Spitzfindigkeiten, sonst vergess ich mich!« Er schrie so laut ins Telefon, dass er ganz verzerrt bei Gisela ankam. Sie hielt das Handy etwas vom Ohr weg.
»Sie sorgen für Ruhe in Ihrem Kaff. Ich bin in einer Stunde da, und dann wollen wir mal sehen, wer noch wagt, sein Maul aufzureißen!«
Ein schnelles Tuten folgte dem Ausbruch Lederers. Er hatte aufgelegt. Gisela atmete tief durch. Auf der einen Seite war sie froh, dass Lederer die Initiative übernahm, auf der anderen Seite waren das ihre Leute. Sie fühlte sich dafür verantwortlich, dass Ruhe und Ordnung in Niedernussdorf herrschten.
Schorsch blieb zwecks Bewachung des Tatortes zurück, während Gisela sich auf den Weg zum Wilden Bock machte. Ein aufgeheiztes Stimmengewirr schwappte Gisela wie eine Flutwelle entgegen, als sie die Gaststube betrat. Franz Kramer stand auf einem der Tische und hetzte seine Bürgerwehr mit demagogischen Parolen gegen die fremdländischen Gangster auf. Er war sich nicht zu schade, die Impotenz der Polizei und die Dummheit des Rechtsstaates als Zeichen der niedergehenden Leitkultur anzuprangern. Nach jedem seiner geplärrten Sätze erntete er Beifall und zustimmende Rufe.
Niemand bemerkte Gisela, die sich das Treiben eine Zeitlang anschaute. Sie musste das Gesehene und Gehörte erst einmal verdauen, bevor sie den Mund aufbrachte, um den Unsinn zu stoppen. Aber ihre Stimme ging in dem Geschrei unter. Sie trat an den Tisch heran, um Franz Kramer herunterzuzerren. Der wehrte sich, brüllte etwas von Polizeigewalt und unschuldigen Bürgern, was zur Folge hatte, dass Gisela von allen Seiten bedrängt und zurückgeschubst wurde. Sie war schockiert, wie sehr der Herdentrieb die ihr bekannten Menschen in bösartige Tiere verwandelte.
Bevor die Situation völlig entgleisen konnte, zog Gisela ihre Pistole, drückte mit dem Daumen den Entsicherungshebel nach unten, richtete sie gegen die Decke und drückte ab. Der Knall zerfetzte die Phalanx der Bürgerwehr, alle duckten sich instinktiv. Putz rieselte aus dem Einschussloch auf Franz Kramer herunter. Der stand weiterhin aufrecht auf dem Tisch und blickte auf Gisela hinab.
»Ihr geht’s jetzt alle zur Arbeit.« Gisela senkte die Pistole langsam, in ihren Ohren sirrte es hell wie ein Schwarm Mücken. »Ich will keinen von euch mehr hier sehen.«
Sie nahm jeden Einzelnen ins Visier. Manche wichen dem Blick aus, andere hielten ihm trotzig stand. Schließlich richtete Gisela ihre nächsten Worte direkt an Franz Kramer.
»Was ihr hier macht, hat nichts mit Menschlichkeit zu tun. Ihr rennt jeden Sonntag in die Kirche, beichtet alle paar Wochen eure Sünden und glaubt, ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt. Ihr seid eine Drecksbande.«
»Solang’s ruhig ist im Dorf, da hast alles im Griff, aber sobald’s brennt, weißt du nicht mehr, wo der Wassereimer steht.« Franz Kramer deutete mit dem Zeigefinger anklagend auf Gisela. »Du bist doch schuld, dass es so weit gekommen ist, dass hier Menschen am laufenden Band
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