Unter Brüdern (German Edition)
gebracht hatte.
Auch wenn er damit hatte rechnen müssen, dass sein Bruder irgendwann um Megans Hand anhielt, hatte ihn die Geschichte mit dem Verlobungsring am Vormittag aufhorchen lassen.
Jetzt plötzlich nahm es tatsächlich Formen an.
Ken hatte den Ring besorgt, früher oder später würde er sich bei ihr entschuldigen und sie ernsthaft fragen, ob sie seine Frau werden wolle.
Und dann? Würde sie ja sagen? Selbst nach letzter Nacht mit Jake?
Er wusste, dass sie etwas für ihn übrig hatte. Hatte sie schon seit Jahren.
Sie hatte immer für ihn gekämpft – um seinen Ruf, um die Beziehung zu seinen Eltern und zu Ken, sie hatte ihn sogar vor den anderen Bewohnern dieser Stadt verteidigt, wenn man ihn das schwarze Schaf der Familie nannte.
Er hatte hin und wieder bemerkt, wie sie ihn verstohlen anhimmelte, wie sie verträumt lächelte und dann schnell erschrocken weg sah, wenn er in ihre Richtung blickte.
Die Kommentare heute waren gemein und überflüssig gewesen, vor allem nach dieser Nacht, in der sie sich geliebt hatten. Wäre er mit ihr allein gewesen, hätte er sich anders verhalten, aber es war zu auffällig von jetzt auf nachher alle blöden Sprüche sein zu lassen und sie nett zu behandeln. Da hätten doch bei allen anderen die Alarmglocken geklingelt! Vor allem nach dem Blick, mit dem er sie vorhin versehentlich angestarrt hatte.
„Noch jemand ein Bier?“ er stand auf und ging nach drinnen.
„Jep.“ Sagte David.
Big John und Ken waren damit beschäftigt das Fleisch auf dem Grill zu wenden und darüber zu diskutieren welches Stück schon durch war.
Leise zog Jake die Terrassentüre hinter sich zu.
Er durchquerte das Esszimmer, hielt einen Moment inne. Anstatt in die Küche zu gehen und das Bier aus dem Kühlschrank zu holen, schlich er leise ins Wohnzimmer.
Megan lag auf der großen Couch, die sie klein und zerbrechlich wirken ließ, wie ein kleines Mädchen. Sie lag seitlich, das Haar fiel ihr zur Hälfte ins Gesicht, die Hände hatte sie vor der Brust verschränkt, als wolle sie sich vor einem Angriff schützen. Es war noch nicht einmal Abend, aber sie war so erschöpft, dass sie jetzt schon schlief.
Jake nahm die leichte Sommerdecke von der zweiten Couch und legte sie so vorsichtig über Megan, dass sie nichts davon spürte.
Er kniete sich vor sie, sah sie eine Weile an.
Sie sah unendlich traurig und unglücklich aus, als hätte sie sich in den Schlaf geweint und ihre Gesichtszüge noch nicht völlig entspannt. Er stri ch ihr das Haar aus dem Gesicht.
Er sah durch die Glastüre nach draußen.
Erst als er sicher war, dass niemand ihn sehen konnte, beugte er sich zu ihr herab und küsste sie leicht auf die Stirn.
Dann ging er in die Küche um das Bier zu holen.
11
Donnerstag, 18. Februar 2010
Sehnsucht
Megan 23, Ken 30, Jake 27 (zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis)
„Ich gehe Jake besuchen.“ Verkündete Ken an diesem Morgen, als sie im Bad nebeneinander standen und sich die Zähne putzten.
Megan versuchte nicht zu erstaunt zu wirken.
Sie waren Brüder, natürlich wünschte sie sich für die beiden, dass sie gut miteinander auskamen, dass sie sich verstanden. Es wunderte sie nur, weil Ken seinen jüngeren Bruder in dem dreiviertel Jahr, dass er nun im Gefängnis saß, erst zweimal besucht hatte.
Er hatte immer Ausreden gefunden, ihn nicht zu besuchen. Megan wusste, dass die beiden sich nicht besonders gut verstanden, aber sie hatten seit Jahren denselben Freundeskreis, sahen sich dadurch fast täglich und immerhin tranken sie hin und wieder auch ein Bier miteinander. Sie hatte zumindest erwartet, dass Ken ihn so oft wie möglich im Gefängnis besuchen würde, als das Urteil gesprochen wurde.
Die beiden Male, die er Jake besucht hatte, war sie zuhause gesessen, hatte es kaum erwarten können bis Ken endlich nachhause gekommen war und ihr erzählte wie es ihm ging, aber sie hatte es bei beiden Malen nicht erfahren. Nach dem ersten Besuch war er missgelaunt zurück gekehrt, hatte kein Wort darüber verloren, nach dem zweiten Besuch hatte er ebenfalls geschwiegen, diesmal nicht ganz so aufgebracht, und sie hatte sich nicht getraut nachzufragen.
„Du wolltest mich doch zum Tanzen fahren, wir haben heute Generalprobe.“ Erinnerte Megan ihn an ihre Abmachung.
Die Proben für das Tanzstück fanden eine halbe Autostunde entfernt in einem Theater statt. Übermorgen hatten sie den Auftritt. Es war eine Art Ballettstück mit vielen neumodischen
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